Cicero
De Officiis
Liber primus
Rainer Lohmann
prosa
1
De Officiis Einführung
Liber tertius
- Einleitung
- Ethik als Thema
- Definition und Einteilung der Pflichten
- 1. Hauptteil: Die aus der Tugend entspringenden Pflichten
- Definition und Einteilung
- Die Tugend der Einsicht und die daraus hervorgehenden Pflichten (1. Kardinaltugend)
- Die Tugenden des geselligen Lebens und die daraus hervorgehenden Pflichten
- Die eigentliche Gerechtigkeit (2. Kardinaltugend)
- Kein Unrecht tun. Das Eigentum achten
- Die zwei Arten der Ungerechtigkeit. Abwehr des Unrechts
- Pflichten der Gerechtigkeit nach Umständen
- Handlungen im Notstand
- Summum ius summa iniuria
- Großmut und Vergebung
- Wohltätigkeit und Güte
- Echte Wohltaten
- Besonnenheit bei Wohltaten
- Wohltaten gegen besondere Nächste. Umstände
- Der Charakter des Empfängers
- Wohltaten für Würdige und Bedürftige. Beseitigung der Bedürftigkeit
- Wohltaten für Mitbürger, Freunde, Vaterland
- Erfahrung lehrt echte Wohltätigkeit
- Tapferkeit und Hochsinn (3. Kardinaltugend)
- Die Tapferkeit
- Tapferkeit in Selbstbezwingung und in Ausführung großer Taten
- Fernbleiben vom Staatsleben nur in besonderer Lage
- Tapferkeit im Kriege steht nicht höher als Mut im Frieden
- Tapferkeit und Gemeinwohl
- Der Tapfere ist großmütig, milde, bescheiden
- Mäßigung (Besonnenheit) und Anstand (4. Kardinaltugend)
- Wesen und Einteilung des Schicklichen
- Pflichten, die aus dem Decorum hervorgehen
- Selbstbeherrschung
- Mäßigung in der Lust
- Bewahrung berechtigter Eigenart
- Richtige Berufswahl
- Neigungen und Altersstufen
- Pflichten verschiedener Gruppen
- Lebensstil der harmonischen Persönlichkeit
- Scheu vor Verletzung des Anstandes
- Schicklichkeit im Äußerlichen
- Angemessene Sprache
- Angemessenes Wohnen
- Rücksicht auf Zeit und Ort
- Wahl eines auch äußerlich anständigen Berufes
- Konflikte der vier Kardinaltugenden. Ihr Verhältnis zueinander
Obwohl du, mein Sohn Marcus, da du schon ein Jahr bei Cratippus studierst, und zwar in Athen,
philosophische Vorschriften und Lehrmeinungen wegen des höchsten Ansehens des Lehrers und der Stadt im
Übermaß haben musst, von denen der eine dich durch Wissen fördern kann, die andere durch Vorbilder,
glaube ich dennoch, dass du, wie ich selbst zu meinem Nutzen immer mit dem Griechischen das Lateinische
verbunden und dieses nicht nur in der Philosophie, sondern auch bei der Übung im Reden getan habe,
dasselbe tun musst, damit du im gewandten Ausdruck in beiden Sprachen gleich tüchtig bist. In dieser
Hinsicht haben wir sicherlich, wie wir meinen, unseren Landsleuten eine große Hilfe erwiesen, so dass
nicht nur diejenigen, die griechischer Gelehrsamkeit unkundig sind, sondern auch die Gebildeten meinen,
eine beträchtliche Hilfe für das Reden und Urteilen erlangt zu haben.
Quamquam te, Marce fili, annum iam audientem
Cratippum idque Athenis abundare oportet praeceptis institutisque philosophiae
propter summam et doctoris auctoritatem et urbis, quorum alter te scientia
augere potest, altera exemplis, tamen, ut ipse ad meam utilitatem semper cum
Graecis Latina coniunxi neque id in philosophia solum, sed etiam in dicendi
exercitatione feci, idem tibi censeo faciendum, ut par sis in utriusque
orationis facultate. Quam quidem ad rem nos, ut videmur, magnum attulimus
adiumentum hominibus nostris, ut non modo Graecarum litterarum rudes, sed etiam
docti aliquantum se arbitrentur adeptos et ad dicendum et ad iudicandum.
Deshalb wirst du von dem führenden Vertreter der Philosophen dieses Zeitalters lernen, und zwar
solange du willst; so lange aber wirst du es wollen müssen, wie du mit deinem Fortschritt zufrieden
bist. Aber wenn du dennoch unsere Schriften liest, die sich nicht viel von denen der Peripatetiker
unterscheiden, da wir beide Sokratiker und Platoniker sein wollen, so gebrauche hinsichtlich des Inhalts
dein eigenes Urteilsvermögen - denn ich verhindere nichts -, deinen lateinischen Stil aber wirst du in
der Tat vervollkommnen, indem du unsere Schriften liest. Aber ich möchte nicht, dass dieses für ein
anmaßendes Wort gehalten wird. Denn wenn ich, obwohl ich philosophisches Wissen vielen zugestehe, das
für mich beanspruche, was für einen Redner eigentümlich ist, nämlich angemessen, klar gegliedert und
kunstvoll zu reden, so schreibe ich mir dieses gewissermaßen mit vollem Recht zu.
Quam ob rem disces tu quidem a principe huius aetatis
philosophorum et disces quam diu voles; tam diu autem velle debebis, quoad te
quantum proficias non paenitebit. Sed tamen nostra legens non multum a
Peripateticis dissidentia, quoniam utrique Socratici et Platonici volumus esse,
de rebus ipsis utere tuo iudicio--nihil enim impedio--orationem autem Latinam
efficies profecto legendis nostris pleniorem. Nec vero hoc arroganter dictum
existimari velim. Nam philosophandi scientiam concedens multis, quod est
oratoris proprium, apte, distincte, ornate dicere, quoniam in eo studio aetatem
consumpsi, si id mihi assumo, videor id meo iure quodam modo vindicare.
Daher fordere ich dich nachdrücklich auf, mein Cicero, nicht nur meine Reden, sondern auch die
vorliegenden Bücher über Philosophie, die jenen fast schon gleichkommen, eifrig zu lesen - denn eine
größere Wucht des Wortes liegt in jenen -, aber auch diese ausgewogene und ruhige Art des Redens muss
gepflegt werden. Und ich sehe, dass folgendes jedenfalls keinem der Griechen bislang zuteil geworden
ist, dass derselbe Mann in beiden Gattungen mit Erfolg arbeitete und sich mit jener Gattung der
öffentlichen Rede und dieser ruhigen der Disputation befasste; es müsste denn sein, dass Demetrius aus
Phaleron zu diesen gezählt werden kann, ein Meister scharfsinniger Erörterung, ein wenig schwungvoller
Redner, dennoch einnehmend, so dass man ihn als Schüler Theophrasts erkennen kann. Welche Fortschritte
wir aber in beiden Gattungen gemacht haben, sollen andere beurteilen, wir haben uns sicherlich mit
beiden befasst.
Quam ob rem magnopere te hortor, mi Cicero, ut non solum
orationes meas, sed hos etiam de philosophia libros, qui iam illis fere se
aequarunt, studiose legas,--vis enim maior in illis dicendi,--sed hoc quoque
colendum est aequabile et temperatum orationis genus. Et id quidem nemini video
Graecorum adhuc contigisse, ut idem utroque in genere elaboraret sequereturque
et illud forense dicendi et hoc quietum disputandi genus, nisi forte Demetrius
Phalereus in hoc numero haberi potest, disputator subtilis, orator parum
vehemens, dulcis tamen, ut Theophrasti discipulum possis agnoscere. Nos autem
quantum in utroque profecerimus, aliorum sit iudicium, utrumque certe secuti
sumus.
Ich allerdings glaube, dass Platon, wenn er die Gattung der öffentlichen Rede hätte behandeln
wollen, gewichtig und in reicher Fülle hätte reden können und Demosthenes, wenn er an jenem, was er von
Platon gelernt hatte, hätte festhalten und es hätte zum Ausdruck bringen wollen, imstande gewesen wäre,
dieses kunstvoll und prächtig zu tun; und auf dieselbe Weise urteile ich über Aristoteles und Isocrates,
von denen beide an ihrem Fach Gefallen fanden und so das Fach des jeweils anderen verachteten.
Aber als ich mir vorgenommen hatte, zum jetzigen Zeitpunkt etwas an dich zu schreiben, vieles
später, wünschte ich, wenn möglich, mit dem anzufangen, was für deine Altersstufe und meine Kompetenz am
geeignetsten ist. Denn obwohl viele bedeutende und nützliche Fragestellungen in der Philosophie genau
und gedankenreich von den Philosophen erörtert worden sind, ist offenbar das von größter Bedeutung, was
von jenen über pflichtgemäße Handlungen überliefert und gelehrt worden ist. Denn kein Gebiet des Lebens
kann von der Pflicht frei sein, weder in politischen noch in privaten Belangen, weder in die
Öffentlichkeit noch in die Familie betreffenden Fragen, weder wenn du auf dich allein gestellt bist noch
dich mit einem anderen zusammentust, und auf ihrer Pflege beruht jede sittliche Lebensqualität und auf
ihrer Vernachlässigung sittliche Minderwertigkeit.
Equidem et Platonem existimo si genus forense dicendi
tractare voluisset, gravissime et copiosissime potuisse dicere et Demosthenem si
illa, quae a Platone didicerat, tenuisset et pronuntiare voluisset, ornate
splendideque facere potuisse; eodemque modo de Aristotele et Isocrate iudico,
quorum uterque suo studio delectatus contempsit alterum. Sed cum statuissem
scribere ad te aliquid hoc tempore, multa posthac, ab eo ordiri maxime volui,
quod et aetati tuae esset aptissimum et auctoritati meae. Nam cum multa sint in
philosophia et gravia et utilia accurate copioseque a philosophis disputata,
latissime patere videntur ea quae de officiis tradita ab illis et praecepta
sunt. Nulla enim vitae pars neque publicis neque privatis neque forensibus neque
domesticis in rebus, neque si tecum agas quid, neque si cum altero contrahas,
vacare officio potest in eoque et colendo sita vitae est honestas omnis et
neglegendo turpitudo.
Ferner ist der Gegenstand dieser Untersuchung allen Philosophen gemeinsam. Wen gibt es nämlich, der
es wagte, sich einen Philosophen zu nennen, ohne irgendwelche Lehren über die Pflicht weiterzugeben?
Aber es existieren einige philosophische Richtungen, die durch die Art, das höchste Gut und das größte
Übel festzulegen, jede Pflicht untergraben. Denn wer das höchste Gut so bestimmt, dass es keine
Verbindung mit der Tugend hat, und dieses nach seinen persönlichen Interessen, nicht aber nach dem
Sittlichguten bemisst, dürfte, wenn er mit sich selbst übereinstimmt und nicht zuweilen von einer
glücklichen Naturanlage besiegt wird, weder Freundschaft noch Gerechtigkeit pflegen und auch nicht
Freigebigkeit; tapfer kann gewiss in keiner Weise sein, wer den Schmerz für das größte Übel hält, oder
maßvoll, wer meint, die Lust sei das höchste Gut. Obwohl diese Einsichten selbstverständlich sind, so
dass es keiner Untersuchung bedarf, sind sie dennoch von uns an anderer Stelle erörtert worden.
Atque haec quidem quaestio communis est omnium
philosophorum. Quis est enim, qui nullis officii praeceptis tradendis
philosophum se audeat dicere? Sed sunt non nullae disciplinae, quae propositis
bonorum et malorum finibus officium omne pervertant. Nam qui summum bonum sic
instituit, ut nihil habeat cum virtute coniunctum, idque suis commodis, non
honestate metitur, hic, si sibi ipse consentiat et non interdum naturae bonitate
vincatur, neque amicitiam colere possit nec iustitiam nec liberalitatem; fortis
vero dolorem summum malum iudicans aut temperans voluptatem summum bonum
statuens esse certe nullo modo potest.
Wenn diese philosophischen Richtungen also konsequent sein wollen, dürften sie nicht in der Lage
sein, über die Pflicht zu sprechen, und es könnten keine dauerhaften, zuverlässigen und naturgemäßen
Lehren über die Pflicht weitergegeben werden, es sei denn entweder von denjenigen, die sagen, nur das
Sittlichgute, oder von denen, die meinen, hauptsächlich das Sittlichgute sei aus sich heraus
erstrebenswert. So ist diese Vorstellung für die Stoiker, Akademiker und Peripatetiker eigentümlich, da
ja Aristons, Pyrrhons und Erillos' Lehrmeinung schon längst missbilligt worden ist, die gleichwohl ein
ihnen zustehendes Recht besäßen, über die Pflicht zu disputieren, wenn sie einen Unterschied zwischen
den Dingen übriggelassen hätten, so dass ein Zugang zum Finden der Pflicht bestünde. Wir folgen also
unter solchen Umständen und in dieser Untersuchung vornehmlich den Stoikern, nicht wie Dolmetscher,
sondern wir werden, wie wir es gewohnt sind, aus ihren Quellen nach unserem Urteil und Ermessen
schöpfen, wie viel und auf welche Weise wir es für richtig halten.
Quae quamquam ita sint in promptu, ut res disputatione non
egeat, tamen sunt a nobis alio loco disputata. Hae disciplinae igitur si sibi
consentaneae velint esse, de officio nihil queant dicere, neque ulla officii
praecepta firma, stabilia, coniuncta naturae tradi possunt, nisi aut ab iis, qui
solam, aut ab iis, qui maxime honestatem propter se dicant expetendam. Ita
propria est ea praeceptio Stoicorum, Academicorum, Peripateticorum, quoniam
Aristonis, Pyrrhonis, Erilli iam pridem explosa sententia est, qui tamen
haberent ius suum disputandi de officio, si rerum aliquem dilectum reliquissent,
ut ad officii inventionem aditus esset. Sequemur igitur hoc quidem tempore et
hac in quaestione potissimum Stoicos, non ut interpretes, sed, ut solemus, e
fontibus eorum iudicio arbitrioque nostro quantum quoque modo videbitur,
hauriemus.
Es scheint also richtig, da die gesamte Abhandlung über die Pflicht handeln wird, vorher zu
definieren, was eine pflichtmäßige Handlung ist; ich wundere mich, dass dieses von Panaitios übergangen
worden ist. Denn jede Unterweisung, die methodisch über irgendeinen Gegenstand angestellt wird, muss von
einer Definition ausgehen, damit erkannt wird, was der Gegenstand der Untersuchung ist. Jede
wissenschaftliche Untersuchung über die Pflicht ist eine doppelte. Ein Teil bezieht sich auf das höchste
Gut, ein anderer beruht auf den Vorschriften, durch die das praktische Leben in jeder Hinsicht gestaltet
werden kann. für den ersten Teil gibt es Beispiele folgender Art: Ob alle Pflichten vollkommene
Pflichten sind; ob irgendeine Pflicht wichtiger ist als eine andere und welche Pflichten zu derselben
Art gehören. für diese Pflichten des zweiten Teils aber werden Vorschriften mitgeteilt; obwohl diese
sich an dem höchsten Gut orientieren, ist dieses dennoch weniger deutlich, weil sie sich offenbar auf
die Gestaltung des praktischen Lebens beziehen; über diese Vorschriften müssen wir uns in den
vorliegenden Büchern aussprechen.
Placet igitur, quoniam omnis disputatio de officio futura
est, ante definire, quid sit officium, quod a Panaetio praetermissum esse miror.
Omnis enim, quae a ratione suscipitur de aliqua re institutio, debet a
definitione proficisci, ut intellegatur, quid sit id de quo disputetur. . . .
Omnis de officio duplex est quaestio. Unum genus est, quod pertinet ad finem
bonorum, alterum, quod positum est in praeceptis, quibus in omnes partes usus
vitae conformari possit. Superioris generis huiusmodi sunt exempla, omniane
officia perfecta sint, num quod officium aliud alio maius sit et quae sunt
generis eiusdem. Quorum autem officiorum praecepta traduntur, ea quamquam
pertinent ad finem bonorum, tamen minus id apparet, quia magis ad institutionem
vitae communis spectare videntur; de quibus est nobis his libris explicandum.
Und es liegt auch eine andere Einteilung der Pflicht vor. Denn es gibt eine so genannte mittlere und
eine vollkommene Pflicht. Die vollkommene Pflicht wollen wir, so meine ich, die richtige nennen, da die
Griechen sie als katorthoma, diese allgemeine Pflicht aber als kathekon bezeichnen. Und diese Pflichten
definieren sie so, dass sie sagen, die Pflicht sei die vollkommene, welche die richtige sei; die
mittlere Pflicht aber sei, wie sie sagen, die, für die eine vernünftige Begründung vorgebracht werden
könne.
Atque etiam alia divisio est officii. Nam et medium quoddam
officium dicitur et perfectum. Perfectum officium rectum, opinor, vocemus,
quoniam Graeci katorthoma, hoc autem commune officium
kathekon
vocant. Atque ea sic definiunt, ut rectum quod sit, id officium perfectum esse
definiant; medium autem officium id esse dicunt, quod cur factum sit, ratio
probabilis reddi possit.
Also gibt es, wie Panaitios glaubt, eine dreifache Erwägung, nach der man einen Entschluss fasst.
Denn sie überlegen, ob das, was Gegenstand der Erwägung ist, sittlich gut oder schändlich sei; denn
während sie hierüber nachdenken, schwanken sie zwischen verschiedenen Meinungen. Dann aber untersuchen
sie oder gehen mit sich zu Rate, ob hinsichtlich der Bequemlichkeit und Annehmlichkeit für das Leben,
hinsichtlich der Mittel zur Bestreitung der Lebensbedürfnisse und deren Fülle, hinsichtlich von Einfluss
und Macht, durch die sie sich und die Ihren unterstützen können, der Gegenstand der Beratung zuträglich
ist oder nicht; diese Erwägung gehört ganz in den Bereich des Nutzens. Eine dritte Art der Überlegung
ergibt sich, immer wenn das, was nützlich zu sein scheint, mit dem Sittlichguten offenbar im Widerspruch
steht. Wenn nämlich der Nutzen, wie es den Anschein hat, an sich reißt, das Sittlichgute dagegen zu sich
zurückführt, geschieht es, dass der Verstand, während er überlegt, in Zweifel gerät und eine
zwiespältige Denkbemühung verursacht.
Triplex igitur est, ut Panaetio videtur, consilii capiendi
deliberatio. Nam aut honestumne factu sit an turpe dubitant id, quod in
deliberationem cadit; in quo considerando saepe animi in contrarias sententias
distrahuntur. Tum autem aut anquirunt aut consultant ad vitae commoditatem
iucunditatemque, ad facultates rerum atque copias, ad opes, ad potentiam, quibus
et se possint iuvare et suos, conducat id necne, de quo deliberant; quae
deliberatio omnis in rationem utilitatis cadit. Tertium dubitandi genus est, cum
pugnare videtur cum honesto id, quod videtur esse utile. Cum enim utilitas ad se
rapere, honestas contra revocare ad se videtur, fit ut distrahatur in
deliberando animus afferatque ancipitem curam cogitandi.
In dieser Einteilung sind, obwohl es ein sehr schwerer Fehler ist, etwas beim Gliedern zu übergehen,
zwei Punkte weggelassen worden. Es wird nämlich gewöhnlich nicht nur darüber nachgedacht, ob etwas
sittlich gut oder schändlich ist, sondern auch, wenn zwei sittlich gute Handlungsweisen vorliegen,
welche von beiden sittlich besser ist, und ebenso, wenn zwei nützliche Handlungsweisen vorliegen, welche
von beiden nützlicher ist. Folglich stellt sich heraus, dass die Überlegung, die, wie jener geglaubt
hat, aus drei Teilen bestehe, in fünf unterteilt werden muss: Also ist erstens das Sittlichgute, aber in
zweifacher Hinsicht, zweitens das Nützliche in gleicher Weise und drittens der Widerstreit zwischen
diesen Prinzipien zu erörtern.
Hac divisione, cum praeterire aliquid maximum vitium in
dividendo sit, duo praetermissa sunt. Nec enim solum, utrum honestum an turpe
sit, deliberari solet, sed etiam duobus propositis honestis utrum honestius,
itemque duobus propositis utilibus utrum utilius. Ita quam ille triplicem
putavit esse rationem in quinque partes distribui debere reperitur. Primum
igitur est de honesto, sed dupliciter, tum pari ratione de utili, post de
comparatione eorum disserendum.
Vom ersten Augenblick an ist jeder Art von Lebewesen von der Natur zugestanden worden, dass es sich,
sein Leben und seinen Körper schützt, das meidet, was zu schaden droht und alles Lebensnotwendige sucht
und beschafft wie Nahrung, wie Schlupfwinkel, wie anderes derselben Art. Gemeinsam ist ferner allen
Lebewesen der Geselligkeitstrieb um der Fortpflanzung willen und eine gewisse fürsorge für diejenigen,
die hervorgebracht worden sind. Aber zwischen Mensch und Tier besteht insbesondere der Unterschied, dass
dieses nur insoweit, als es von sinnlicher Wahrnehmung angesprochen wird, sich allein auf die
unmittelbare Gegenwart einstellt, da es nur ganz wenig die Vergangenheit oder Zukunft wahrnimmt. Weil
der Mensch aber der Vernunft teilhaftig ist, durch die er die Folgen erkennt, die Ursachen der Dinge
begreift und ihre Entwicklungsstufen und gleichsam die vorausgehenden Anlässe genau kennt, verwandte
Erscheinungen vergleicht und zukünftige Geschehnisse mit gegenwärtigen verknüpft und verbindet, sieht er
leicht den Ablauf des ganzen Lebens und schafft, um dieses zu meistern, die notwendigen Dinge vorher
an.
Principio generi animantium omni est a natura tributum,
ut se, vitam corpusque tueatur, declinet ea, quae nocitura videantur, omniaque,
quae sint ad vivendum necessaria anquirat et paret, ut pastum, ut latibula, ut
alia generis eiusdem. Commune item animantium omnium est coniunctionis appetitus
procreandi causa et cura quaedam eorum, quae procreata sint. Sed inter hominem
et beluam hoc maxime interest, quod haec tantum, quantum sensu movetur, ad id
solum, quod adest quodque praesens est se accommodat, paulum admodum sentiens
praeteritum aut futurum. Homo autem, quod rationis est particeps, per quam
consequentia cernit, causas rerum videt earumque praegressus et quasi
antecessiones non ignorat, similitudines comparat rebusque praesentibus adiungit
atque adnectit futuras, facile totius vitae cursum videt ad eamque degendam
praeparat res necessarias.
Und dieselbe Natur bringt auch kraft der Vernunft den Menschen dem Mitmenschen näher zur
Gemeinschaft der Sprache und des Lebens, und sie pflanzt ihm eine ganz außerordentliche Liebe zu seinen
Nachkommen ein. Sie veranlasst ihn zu wollen, dass es Vereinigungen sowie Zusammenkünfte von Menschen
gibt und diese von ihm besucht werden, und sich aus diesen Gründen um die Beschaffung dessen zu bemühen,
was zur Verschönerung des Lebens und für den Unterhalt ausreicht, nicht für sich allein, sondern für
seine Gattin, seine Kinder und die anderen, die er für wert hält und beschützen muss, eine Sorgepflicht,
die sogar den Geist anregt und seine Tatkraft steigert.
Eademque natura vi rationis hominem conciliat homini et
ad orationis et ad vitae societatem ingeneratque inprimis praecipuum quendam
amorem in eos, qui procreati sunt impellitque, ut hominum coetus et
celebrationes et esse et a se obiri velit ob easque causas studeat parare ea,
quae suppeditent ad cultum et ad victum, nec sibi soli, sed coniugi, liberis,
ceterisque quos caros habeat tuerique debeat, quae cura exsuscitat etiam animos
et maiores ad rem gerendam facit.
Ganz besonders sind dem Menschen das Suchen und die Erforschung der Wahrheit eigen. Wenn wir daher
frei von notwendigen Geschäften und Besorgungen sind, dann verlangen wir danach, etwas zu sehen, zu
hören, hinzuzulernen, und wir glauben, dass die Erkenntnis der Geheimnisse oder Wunder der Natur für ein
glückliches Leben notwendig ist. Hieraus ist erkennbar, dass das Wahre, Aufrichtige und Unverfälschte
der Natur des Menschen am angemessensten ist. Mit diesem Verlangen nach Wahrheitserkenntnis ist ein
gewisser Trieb nach Unabhängigkeit verbunden, so dass ein gut angelegter Geist von Natur aus niemandem
gehorchen will außer jemandem, der entweder theoretisch unterweist oder um des Nutzens willen nach Recht
und Gesetz befiehlt; hieraus entstehen Seelengröße und Verachtung der irdischen Güter.
Inprimisque hominis est propria veri inquisitio atque
investigatio. Itaque cum sumus necessariis negotiis curisque vacui, tum avemus
aliquid videre, audire, addiscere cognitionemque rerum aut occultarum aut
admirabilium ad beate vivendum necessariam ducimus. Ex quo intellegitur, quod
verum, simplex sincerumque sit, id esse naturae hominis aptissimum. Huic veri
videndi cupiditati adiuncta est appetitio quaedam principatus, ut nemini parere
animus bene informatus a natura velit nisi praecipienti aut docenti aut
utilitatis causa iuste et legitime imperanti; ex quo magnitudo animi existit
humanarumque rerum contemptio.
Aber nicht gering ist jene Wirkung der vernunftbegabten Natur, dass nämlich dieses Lebewesen als
einziges wahrnimmt, was Ordnung ist, was Schicklichkeit, was das rechte Maß in Taten und Worten. Kein
anderes Lebewesen nimmt die Schönheit, die Anmut und die Wohlproportioniertheit der sichtbaren Welt
wahr; deren Ähnlichkeit von den Augen auf den Geist übertragend, glaubt die vernunftbegabte Natur, dass
sogar weit mehr die Schönheit, Stetigkeit und Ordnung in den Überlegungen und Taten zu bewahren sind,
und sie stellt sicher, dass sie nichts unschicklich oder verweichlicht verrichtet und sodann in allen
Meinungen und Taten nichts ohne Selbstkontrolle tut oder denkt. Aus diesen Voraussetzungen wird das
gebildet und bewirkt, was wir untersuchen, das Sittlichgute, das, auch wenn es keine Anerkennung findet,
dennoch ehrenhaft ist, und das, wie wir wahrheitsgemäß sagen, auch wenn es von niemandem gelobt wird,
von Natur aus lobenswert ist.
Nec vero illa parva vis naturae est rationisque, quod
unum hoc animal sentit, quid sit ordo, quid sit quod deceat, in factis dictisque
qui modus. Itaque eorum ipsorum, quae aspectu sentiuntur, nullum aliud animal
pulchritudinem, venustatem, convenientiam partium sentit; quam similitudinem
natura ratioque ab oculis ad animum transferens multo etiam magis
pulchritudinem, constantiam, ordinem in consiliis factisque conservandam putat
cavetque ne quid indecore effeminateve faciat, tum in omnibus et opinionibus et
factis ne quid libidinose aut faciat aut cogitet. Quibus ex rebus conflatur et
efficitur id, quod quaerimus, honestum, quod etiamsi nobilitatum non sit, tamen
honestum sit, quodque vere dicimus, etiamsi a nullo laudetur, natura esse
laudabile.
Die Idee des Sittlichguten, mein Sohn Marcus, und gleichsam seine äußere Erscheinung erkennst du,
die, wenn man sie mit den Augen wahrnähme, eine außerordentliche Liebe zur Wahrheit, wie Platon sagt,
hervorriefe. Aber alles, was sittlich gut ist, entspringt einem der vier Teilbereiche. Denn es beruht
erstens auf der Fähigkeit und Gewandtheit in der Erkenntnis der Wahrheit, zweitens auf dem Schutz der
menschlichen Gemeinschaft, darauf, dass jedem das ihm Zukommende zugeteilt wird und auf der
Verlässlichkeit bei Vereinbarungen, drittens auf der Größe und Stärke eines erhabenen und unbesiegbaren
Geistes und viertens auf dem Sinn für Ordnung und Maß in allen Taten und Äußerungen, was Mäßigung und
Selbstbeherrschung ausmacht. Obwohl diese vier Formen der Tugend untereinander aufs Engste verbunden
sind, entstehen dennoch aus jeder einzelnen von ihnen Verpflichtungen bestimmter Art, wie z.B. in dem
Teil, der bei der Gliederung zum ersten gemacht worden ist und dem wir Weisheit und Klugheit zuteilen,
die Erforschung und Findung der Wahrheit enthalten sind, und dieser Tugend ist diese Aufgabe eigen.
Formam quidem ipsam, Marce fili, et tamquam faciem
honesti vides, "quae si oculis cerneretur, mirabiles amores ut ait Plato,
excitaret sapientiae". Sed omne, quod est honestum, id quattuor partium oritur
ex aliqua. Aut enim in perspicientia veri sollertiaque versatur aut in hominum
societate tuenda tribuendoque suum cuique et rerum contractarum fide aut in
animi excelsi atque invicti magnitudine ac robore aut in omnium, quae fiunt
quaeque dicuntur ordine et modo, in quo inest modestia et temperantia. Quae
quattuor quamquam inter se colligata atque implicata sunt, tamen ex singulis
certa officiorum genera nascuntur, velut ex ea parte, quae prima discripta est,
in qua sapientiam et prudentiam ponimus, inest indagatio atque inventio veri,
eiusque virtutis hoc munus est proprium.
Denn je mehr jeder erkennt, was in einer jeden Sache der Wahrheit am meisten entspricht, und je
scharfsinniger und schneller er einen vernünftigen Grund zu erkennen und zu erklären vermag, für um so
klüger und weiser wird er gewöhnlich zu Recht gehalten. Deshalb liegt dieser Tugend gleichsam als Stoff,
den sie behandelt und mit dem sie sich befasst, die Wahrheit zugrunde.
Ut enim quisque maxime perspicit, quid in re quaque
verissimum sit quique acutissime et celerrime potest et videre et explicare
rationem, is prudentissimus et sapientissimus rite haberi solet. Quocirca huic
quasi materia, quam tractet et in qua versetur, subiecta est veritas.
Den übrigen drei Tugenden aber sind die Bedürfnisse des Lebens hinsichtlich der Besorgung und der
Erhaltung der Güter als Aufgabe zugewiesen, auf denen die praktische Bewältigung des Lebens beruht,
damit die Gemeinschaft der Menschen und ihre Verbindung bewahrt werden und die Erhabenheit und Größe des
Geistes bei der Vermehrung des Vermögens und dem Erwerb von Vorteilen für sich und die Seinen sowie noch
viel mehr bei der Verachtung derselben hervorleuchtet. Ordnung aber, Stetigkeit und Mäßigung samt dem,
was diesen ähnlich ist, gehören zu dem Bereich, auf den eine praktische Tätigkeit, nicht nur geistige
Regsamkeit zu verwenden ist. Denn wenn wir in dem gewöhnlichen Geschäft des Lebens einen gewissen Sinn
für Maß und Ordnung walten lassen, werden wir Sittlichkeit und Schicklichkeit bewahren.
Reliquis autem tribus virtutibus necessitates propositae
sunt ad eas res parandas tuendasque, quibus actio vitae continetur, ut et
societas hominum coniunctioque servetur et animi excellentia magnitudoque cum in
augendis opibus utilitatibusque et sibi et suis comparandis, tum multo magis in
his ipsis despiciendis eluceat. Ordo autem et constantia et moderatio et ea,
quae sunt his similia, versantur in eo genere ad quod est adhibenda actio
quaedam, non solum mentis agitatio. Is enim rebus, quae tractantur in vita,
modum quendam et ordinem adhibentes, honestatem et decus conservabimus.
Von den vier Bereichen aber, in die wir das Wesen und den Begriff des Sittlichguten eingeteilt
haben, ist jener erste, das in der Erkenntnis der Wahrheit besteht, der menschlichen Natur besonders
angemessen. Denn wir alle fühlen uns unwiderstehlich getrieben zum Verlangen nach Erkenntnis und Wissen,
worin sich auszuzeichnen wir für vortrefflich halten, aber einen Fehler zu machen, zu irren, nicht zu
wissen und sich täuschen zu lassen nennen wir schlecht und schimpflich. Auf diesem naturgemäßen und
ehrenhaften Gebiet sind zwei Fehler zu vermeiden, erstens, dass wir Unbekanntes als Erkanntes ansehen
und diesem unüberlegt zustimmen; wer diesem Fehler entgehen will - alle aber müssen es wollen -, muss
sich bei seinen Überlegungen Zeit lassen und sorgfältig vorgehen.
Ex quattuor autem locis, in quos honesti naturam vimque
divisimus, primus ille, qui in veri cognitione consistit, maxime naturam
attingit humanam. Omnes enim trahimur et ducimur ad cognitionis et scientiae
cupiditatem, in qua excellere pulchrum putamus, labi autem, errare, nescire,
decipi et malum et turpe ducimus. In hoc genere et naturali et honesto duo vitia
vitanda sunt, unum, ne incognita pro cognitis habeamus hisque temere
assentiamur, quod vitium effugere qui volet--omnes autem velle debent--adhibebit
ad considerandas res et tempus et diligentiam.
Der zweite Fehler besteht darin, dass einige einen zu starken Eifer und zu viel Mühe auf dunkle,
schwierige und dabei gar nicht notwendige Fragen verwenden. Wenn diese Fehler vermieden worden sind,
wird man zu Recht den Aufwand von Mühe und Sorgfalt für ehrenvolle und der Erkenntnis würdige
Gegenstände loben, wie wir es z.B. über C. Sulpicius in der Astronomie hören, über Sex. Pompeius in der
Geometrie erfahren haben, über viele in der Logik, über mehrere im bürgerlichen Recht, alles Kenntnisse,
die sich mit der Wahrheitsfindung befassen. Sich durch das Streben hiernach von den praktischen
Tätigkeiten abbringen zu lassen ist gegen die Pflicht; denn der Vorzug der Tugend beruht ganz auf der
Handlung. Dennoch geschieht oft eine Unterbrechung hierin, und es werden viele Möglichkeiten eröffnet,
zu den Studien zurückzukehren; ferner kann uns die geistige Tätigkeit, die niemals zur Ruhe kommt, sogar
ohne unser Zutun in unserem Streben nach Erkenntnis bewahren. Jeder Gedanke aber und jede
Verstandestätigkeit müssen sich entweder mit Entschlüssen beschäftigen, die bezüglich ehrenhafter
Gegenstände gefasst werden und solcher, die sich auf das gute und glückliche Leben beziehen, oder mit
dem Streben nach wissenschaftlicher Erkenntnis. Und so haben wir über die erste Quelle der Pflicht
gesprochen.
Alterum est vitium, quod quidam nimis magnum studium
multamque operam in res obscuras atque difficiles conferunt easdemque non
necessarias. Quibus vitiis declinatis quod in rebus honestis et cognitione
dignis operae curaeque ponetur, id iure laudabitur, ut in astrologia C.
Sulpicium audimus, in geometria Sex. Pompeium ipsi cognovimus, multos in
dialecticis, plures in iure civili, quae omnes artes in veri investigatione
versantur, cuius studio a rebus gerendis abduci contra officium est. Virtutis
enim laus omnis in actione consistit, a qua tamen fit intermissio saepe multique
dantur ad studia reditus; tum agitatio mentis, quae numquam adquiescit, potest
nos in studiis cognitionis etiam sine opera nostra continere. Omnis autem
cogitatio motusque animi aut in consiliis capiendis de rebus honestis et
pertinentibus ad bene beateque vivendum aut in studiis scientiae cognitionisque
versabitur. Ac de primo quidem officii fonte diximus.
Von den drei übrigen Bereichen aber findet diejenige Haltung die weiteste Anwendung, durch welche
die Gemeinschaft der Menschen untereinander und gleichsam ihr Zusammenleben bewahrt werden; von dieser
Haltung gibt es zwei Teile: die Gerechtigkeit, bei der der Glanz der Tugend am größten ist, nach der die
rechtschaffenen Männer benannt werden, und mit dieser verbunden die Wohltätigkeit, die zugleich als Güte
oder Freigebigkeit bezeichnet werden kann. Aber die Bestimmung der Gerechtigkeit besteht erstens darin,
dass niemand jemandem schadet, es sei denn, er ist zu einem Unrecht gereizt worden, zweitens, dass er
Gemeingut als Gemeingut gebraucht und Privateigentum als persönlichen Besitz.
De tribus autem reliquis latissime patet ea ratio, qua
societas hominum inter ipsos et vitae quasi communitas continetur; cuius partes
duae: iustitia, in qua virtutis splendor est maximus, ex qua viri boni
nominantur, et huic coniuncta beneficentia, quam eandem vel benignitatem vel
liberalitatem appellari licet. Sed iustitiae primum munus est, ut ne cui quis
noceat, nisi lacessitus iniuria, deinde ut communibus pro communibus utatur,
privatis ut suis.
Es gibt aber kein Privateigentum von Natur aus, sondern entweder infolge alter Besitznahme wie bei
denen, die einst in menschenleere Gegenden gekommen sind, oder infolge eines Sieges wie bei denjenigen,
die sich eines Krieges bemächtigt haben, oder durch Gesetz, Vertrag, Übereinkunft und Los; die Folge
davon ist, dass das Gebiet von Arpinum das Gebiet der Arpinatier, das zu Tusculum gehörige Gebiet das
der Tusculaner genannt wird; ähnlich ist die Verteilung privater Besitzungen. Infolgedessen mag ein
jeder, weil einiges von dem persönliches Eigentum wird, was von Natur aus gemeinsamer Besitz gewesen
war, das behalten, was ihm zugefallen ist; wenn aber jemand von diesem Privatbesitz etwas für sich
erstrebt, wird er das Recht der menschlichen Gemeinschaft verletzen.
Sunt autem privata nulla natura, sed aut vetere
occupatione, ut qui quondam in vacua venerunt, aut victoria, ut qui bello potiti
sunt, aut lege, pactione, condicione, sorte; ex quo fit, ut ager Arpinas
Arpinatium dicatur, Tusculanus Tusculanorum; similisque est privatarum
possessionum discriptio. Ex quo, quia suum cuiusque fit eorum, quae natura
fuerant communia, quod cuique optigit, id quisque teneat; e quo si quis
[quaevis] sibi appetet, violabit ius humanae societatis.
Aber da wir, wie von Platon vortrefflich geschrieben worden ist, nicht nur für uns geboren sind,
sondern einen Teil unserer Existenz das Vaterland beansprucht, einen anderen die Freunde und, wie die
stoische Lehre sagt, alle Erzeugnisse der Erde zum Nutzen der Menschen hervorgebracht werden, die
Menschen aber um der Menschen willen gezeugt sind, damit sie sich selbst untereinander nützen können,
müssen wir in diesem Punkt der Natur als Führerin folgen, den gemeinsamen Nutzen in den Mittelpunkt
stellen und durch gegenseitige Leistungen, durch Geben und Nehmen, ferner durch Fachkenntnisse,
Hilfeleistung und materielle Mittel das Band der Zusammengehörigkeit der Menschen untereinander knüpfen.
Sed quoniam, ut praeclare scriptum est a Platone, non
nobis solum nati sumus ortusque nostri partem patria vindicat, partem amici,
atque, ut placet Stoicis, quae in terris gignantur, ad usum hominum omnia
creari, homines autem hominum causa esse generatos, ut ipsi inter se aliis alii
prodesse possent, in hoc naturam debemus ducem sequi, communes utilitates in
medium adferre, mutatione officiorum, dando accipiendo, tum artibus, tum opera,
tum facultatibus devincire hominum inter homines societatem.
Die Grundlage der Gerechtigkeit aber ist die Treue, d.h. das aufrichtige Stehen zu Zusagen und
Übereinkünften. Daher wollen wir, obwohl dieses vielleicht irgendeinem zu weit hergeholt erscheint, es
dennoch wagen, die Stoiker nachzuahmen, die eifrig erkunden, woher die Wörter abgeleitet worden sind,
und wir wollen glauben, dass die Treue ihren Namen hat, weil geschieht, was zugesagt ist. Aber es gibt
zwei Arten von Ungerechtigkeit; die eine wird von denjenigen begangen, die Unrecht zufügen, die andere
von denjenigen, die das Unrecht von denen, denen es zugefügt wird, auch wenn sie es können, nicht
abwenden. Denn wer widerrechtlich irgendeinen angreift, aus Zorn oder durch eine andere Leidenschaft
erregt, scheint gleichsam Hand an seinen Mitmenschen zu legen; wer aber seinen Nächsten nicht verteidigt
und dem Unrecht keinen Widerstand leistet, auch wenn er es kann, ist genauso schuldig, wie wenn er seine
Eltern, seine Freunde oder sein Vaterland im Stich lässt.
Fundamentum autem est iustitiae fides, id est dictorum
conventorumque constantia et veritas. Ex quo, quamquam hoc videbitur fortasse
cuipiam durius, tamen audeamus imitari Stoicos, qui studiose exquirunt, unde
verba sint ducta, credamusque, quia fiat, quod dictum est appellatam fidem. Sed
iniustitiae genera duo sunt, unum eorum, qui inferunt, alterum eorum, qui ab is,
quibus infertur, si possunt, non propulsant iniuriam. Nam qui iniuste impetum in
quempiam facit aut ira aut aliqua perturbatione incitatus, is quasi manus
afferre videtur socio; qui autem non defendit nec obsistit, si potest, iniuriae,
tam est in vitio, quam si parentes aut amicos aut patriam deserat.
Was nun jenes Unrecht betrifft, das um des Schädigens willen vorsätzlich zugefügt wird, so nimmt es
oft mit der Furcht seinen Anfang, wenn derjenige, der einem anderen zu schaden beabsichtigt, fürchtet,
dass er selbst, falls er dieses nicht tut, irgendeinen Schaden erleidet. Größtenteils aber schicken sie
sich an, Unrecht zu tun, um das zu erlangen, was sie begehren; im Bereich dieses Fehlers kennt die
Habgier keine Grenzen.
Atque illae quidem iniuriae, quae nocendi causa de
industria inferuntur, saepe a metu proficiscuntur, cum is, qui nocere alteri
cogitat, timet, ne, nisi id fecerit, ipse aliquo afficiatur incommodo. Maximam
autem partem ad iniuriam faciendam aggrediuntur, ut adipiscantur ea, quae
concupiverunt; in quo vitio latissime patet avaritia.
Erstrebt wird der Reichtum aber sowohl für die notwendigen Bedürfnisse des Lebens als auch für den
Genuss der Freuden. Bei den Menschen aber, die eine höher stehende Gesinnung haben, zielt das Verlangen
nach Vermögen auf Macht und auf die Möglichkeit, sich gefällig zu erweisen, wie neulich M. Crassus
sagte, kein Vermögen sei für denjenigen zu groß, der im Staat die erste Rolle spielen wolle, falls er
mit seinem Einkommen kein Heer unterhalten könne. Es erfreuen auch prächtige Ausstattungen und eine
geschmackvolle und genussreiche Lebensgestaltung, wodurch bewirkt worden ist, dass ein grenzenloses
Verlangen nach Vermögen herrscht. Zwar darf eine Steigerung des Vermögens, sofern sie niemandem schadet,
nicht getadelt werden, aber immer ist Unrecht zu meiden.
Expetuntur autem divitiae cum ad usus vitae necessarios,
tum ad perfruendas voluptates. In quibus autem maior est animus, in is pecuniae
cupiditas spectat ad opes et ad gratificandi facultatem, ut nuper M. Crassus
negabat ullam satis magnam pecuniam esse ei, qui in re publica princeps vellet
esse, cuius fructibus exercitum alere non posset. Delectant etiam magnifici
apparatus vitaeque cultus cum elegantia et copia, quibus rebus effectum est, ut
infinita pecuniae cupiditas esset. Nec vero rei familiaris amplificatio nemini
nocens vituperanda est, sed fugienda semper iniuria est.
Ganz besonders aber werden die meisten dazu gebracht, die Gerechtigkeit zu vergessen, wenn sie dem
Verlangen nach Macht, hohen Ämtern und Ruhm anheimgefallen sind. Was nämlich bei Ennius geschrieben
steht "Es gibt keine heilige Bindung und keine Treue in der Königsherrschaft", das hat weite Geltung.
Denn auf jedem Gebiet, das so beschaffen ist, dass sich auf ihm mehrere auszeichnen können, kommt es
meistens zu einem solchen Kampf, dass es sehr schwierig ist, die Heiligkeit der gesellschaftlichen
Bindung zu bewahren. Dieses hat soeben die Unbesonnenheit C. Caesars gezeigt, der alle göttlichen und
menschlichen Rechte umstürzte, weil er sich eine irrtümliche Vorstellung von dem Wesen eines Prinzipates
gebildet hatte. Es ist aber auf diesem Gebiet bedauerlich, dass in den bedeutendsten Geistern und in den
ausgezeichnetsten Genies meistens das Verlangen nach Ehre, Macht, Einfluss und Ruhm hervortritt. Umso
mehr muss man sich davor hüten, dass in diesem Bereich ein Fehler gemacht wird.
Maxime autem adducuntur plerique, ut eos iustitiae capiat
oblivio, cum in imperiorum, honorum, gloriae cupiditatem inciderunt. Quod enim
est apud Ennium: "Nulla sancta societas Nec fides regni est", id latius patet. Nam
quidquid eiusmodi est, in quo non possint plures excellere, in eo fit plerumque
tanta contentio, ut difficillimum sit servare sanctam societatem. Declaravit id
modo temeritas C. Caesaris, qui omnia iura divina et humana pervertit propter
eum, quem sibi ipse opinionis errore finxerat principatum. Est autem in hoc
genere molestum, quod in maximis animis splendidissimisque ingeniis plerumque
existunt honoris, imperii, potentiae, gloriae cupiditates. Quo magis cavendum
est, ne quid in eo genere peccetur.
Aber bei jeder Art von Ungerechtigkeit macht es einen sehr großen Unterschied, ob durch irgendeinen
Affekt, der meistens kurz ist und auf Zeit, oder mit Bedacht und Absicht das Unrecht geschieht. Leichter
nämlich wiegt das, was sich infolge einer plötzlichen Erregung ereignet, als das, was nach reiflicher
Überlegung und Vorbereitung zugefügt wird. Somit also ist über die Zufügung von Unrecht genug gesprochen
worden.
Sed in omni iniustitia permultum interest, utrum
perturbatione aliqua animi, quae plerumque brevis est et ad tempus, an consulto
et cogitata fiat iniuria. Leviora enim sunt ea, quae repentino aliquo motu
accidunt, quam ea, quae meditata et praeparata inferuntur. Ac de inferenda
quidem iniuria satis dictum est.
Es gibt gewöhnlich mehrere Gründe, eine Verteidigung zu unterlassen und so seine Pflicht zu
verletzen. Denn die Menschen wollen entweder keine Feindschaft, keine Anstrengung oder keine Kosten auf
sich nehmen oder sie lassen sich auch durch Nachlässigkeit, Trägheit oder durch gewisse Neigungen oder
Beschäftigungen so sehr abhalten, dass sie es hinnehmen, dass diejenigen, die sie schützen müssten,
verlassen sind. Daher muss man zusehen, ob das genügt, was bei Platon hinsichtlich der Philosophen
gesagt worden ist: Weil sie sich mit der Erforschung der Wahrheit beschäftigten und das, was die meisten
heftig erstreben und um was sie gewöhnlich untereinander erbittert kämpfen, verachteten und als nichtig
bewerteten, deswegen seien sie gerecht. [Denn die eine Art der Gerechtigkeit erreichen sie, dass sie
niemandem schaden, indem sie ihm Unrecht zufügen; aber sie erliegen der anderen Art von Ungerechtigkeit,
denn abgelenkt durch ihr Interesse am Lernen lassen sie diejenigen im Stich, die sie schützen müssen.]
Daher glaubt er, sie würden auch nicht in den Staatsdienst eintreten, es sei denn, sie seien dazu
gezwungen. Denn die sittlich gute Tat ist nur in dem Fall gerecht, wenn sie freiwillig geschieht.
Praetermittendae autem defensionis deserendique officii
plures solent esse causae. Nam aut inimicitias aut laborem aut sumptus suscipere
nolunt aut etiam neglegentia, pigritia, inertia aut suis studiis quibusdam
occupationibusve sic impediuntur, ut eos, quos tutari debeant, desertos esse
patiantur. Itaque videndum est, ne non satis sit id, quod apud Platonem est in
philosophos dictum, quod in veri investigatione versentur quodque ea, quae
plerique vehementer expetant, de quibus inter se digladiari soleant, contemnant
et pro nihilo putent, propterea iustos esse. Nam alterum [iustitiae genus]
assequuntur, ut inferenda ne cui noceant iniuria, in alterum incidunt; discendi
enim studio impediti, quos tueri debent, deserunt. Itaque eos ne ad rem publicam
quidem accessuros putant nisi coactos. Aequius autem erat id voluntate fieri;
nam hoc ipsum ita iustum est, quod recte fit, si est voluntarium.
Auch gibt es welche, die entweder aufgrund ihres Bestrebens, ihr Vermögen zu schützen, oder aus
einer gewissen Scheu gegenüber Menschen sagen, sie kümmerten sich nur um ihre Angelegenheiten, und die
offenbar niemandem Unrecht zufügen. Diese Leute sind zwar von der einen Art der Ungerechtigkeit frei,
verfallen aber der anderen; sie entziehen sich nämlich der Gemeinschaft des Lebens, weil sie auf diese
keinen Eifer, keine Mühe und keine Geldmittel verwenden.
Sunt etiam, qui aut studio rei familiaris tuendae aut
odio quodam hominum suum se negotium agere dicant nec facere cuiquam videantur
iniuriam. Qui altero genere iniustitiae vacant, in alterum incurrunt; deserunt
enim vitae societatem, quia nihil conferunt in eam studii, nihil operae, nihil
facultatum.
Da wir also zwei Arten von Ungerechtigkeit dargelegt, die Gründe für beide Arten hinzugefügt und
zuvor festgestellt haben, auf welchen Prinzipien die Gerechtigkeit beruht, werden wir, wenn wir uns
selbst nicht zu sehr lieben, leicht beurteilen können, was die Pflicht in jedem einzelnen Fall ist. Die
Sorge um fremde Angelegenheiten nämlich ist beschwerlich, allerdings glaubt jener Chremes des Terenz,
"nichts Menschliches sei ihm fremd"; indessen urteilen wir über jene anders als über uns, weil wir mehr
das wahrnehmen und empfinden, was uns selbst entweder an Glück oder Unglück widerfährt, als jenes, was
den anderen zustößt, was wir gleichsam in weiter Ferne sehen. Daher sind diejenigen gute Lehrer, die
irgendetwas zu tun verbieten, von dem man nicht weiß, ob es gerecht oder ungerecht ist. Denn die
Billigkeit leuchtet durch sich selbst ein, der Zweifel gibt den Gedanken an das Unrecht zu erkennen.
Quando igitur duobus generibus iniustitiae propositis
adiunximus causas utriusque generis easque res ante constituimus, quibus
iustitia contineretur, facile quod cuiusque temporis officium sit poterimus,
nisi nosmet ipsos valde amabimus, iudicare. Est enim difficilis cura rerum
alienarum. Quamquam Terentianus ille Chremes "humani nihil a se alienum putat";
sed tamen, quia magis ea percipimus atque sentimus, quae nobis ipsis aut
prospera aut adversa eveniunt, quam illa, quae ceteris, quae quasi longo
intervallo interiecto videmus, aliter de illis ac de nobis iudicamus. Quocirca
bene praecipiunt, qui vetant quicquam agere, quod dubites aequum sit an iniquum.
Aequitas lucet ipsa per se, dubitatio cogitationem significat iniuriae.
Aber es kommen oft Umstände vor, durch die solche Grundsätze, die in besonderer Weise eines
gerechten Menschen würdig zu sein scheinen und desjenigen, den wir einen guten Mann nennen, umschlagen
und sich ins Gegenteil verkehren, wie z.B. anvertrautes Gut [sogar einem Wütenden?] zurückzugeben, ein
Versprechen zu erfüllen, und es sich als gerecht erweist, sich bisweilen über das hinwegzusetzen und
nicht zu beachten, was Wahrheit und Treue betrifft. Denn solche Ausnahmen muss man auf das beziehen, was
ich anfangs als Grundforderungen der Gerechtigkeit festgestellt habe, erstens, dass niemandem geschadet,
zweitens, dass dem gemeinsamen Nutzen gedient werden soll. [Wenn diese Grundforderungen sich mit der
Zeit ändern, ändert sich auch die Pflicht, und sie ist nicht immer dieselbe.]
Sed incidunt saepe tempora, cum ea, quae maxime videntur
digna esse iusto homine, eoque quem virum bonum dicimus, commutantur fiuntque
contraria, ut reddere depositum, [etiamne furioso?] facere promissum quaeque
pertinent ad veritatem et ad fidem; ea migrare interdum et non servare fit
iustum. Referri enim decet ad ea, quae posui principio fundamenta iustitiae,
primum ut ne cui noceatur, deinde ut communi utilitati serviatur. Ea cum tempore
commutantur, commutatur officium et non semper est idem.
Es kann ja auch ein solches Versprechen und Abkommen eintreten, dass seine Einhaltung schädlich ist
entweder für denjenigen, dem versprochen worden ist, oder für denjenigen, der versprochen hat. Denn
wenn, wie die Mythologie berichtet, Neptun nicht getan hätte, was er Theseus versprochen hatte, so wäre
Theseus nicht seines Sohnes Hippolytus beraubt worden. Von den drei Wünschen nämlich war, wie
geschrieben wird, dieser der dritte, dass er sich in seinem Zorn die Vernichtung des Hippolytus
wünschte; nachdem er diese erwirkt hatte, verfiel er der größten Trauer. Also brauchen die Versprechen
nicht eingehalten zu werden, die für diejenigen nachteilig sind, denen man sie zugesagt hat, und wenn
sie dir mehr schaden als sie jenem nützen, dem du sie zugesagt hast, ist es auch nicht gegen die
Pflicht, dass das Wichtigere dem Unbedeutenderen vorgezogen wird: Wenn du z.B. mit jemandem die
Vereinbarung getroffen hättest, dass du dich als Rechtsbeistand an Ort und Stelle begeben wirst, und
inzwischen dein Sohn schwer erkrankt, so wäre es nicht gegen die Pflicht, nicht zu tun, was du gesagt
hast, vielmehr würde jener, dem versprochen worden ist, von der Pflicht abweichen, wenn er beklagte, er
sei im Stich gelassen worden. Ferner, wer erkennt nicht, dass man nicht jenen Versprechen treu bleiben
muss, die jemand aus Furcht, die jemand durch eine List getäuscht abgegeben hat? Solche Versprechen
werden ja auch in den meisten Fällen durch das Recht des Prätors ungültig gemacht, in einigen durch
Gesetze.
Potest enim accidere promissum aliquod et conven tum, ut
id effici sit inutile vel ei, cui promissum sit, vel ei, qui promiserit. Nam si,
ut in fabulis est, Neptunus, quod Theseo promiserat, non fecisset, Theseus
Hippolyto filio non esset orbatus. Ex tribus enim optatis, ut scribitur, hoc
erat tertium, quod de Hippolyti interitu iratus optavit; quo impetrato in
maximos luctus incidit. Nec promissa igitur servanda sunt ea, quae sint is,
quibus promiseris inutilia, nec si plus tibi ea noceant, quam illi prosint, cui
promiseris, contra officium est, maius anteponi minori, ut si constitueris,
cuipiam te advocatum in rem praesentem esse venturum atque interim graviter
aegrotare filius coeperit, non sit contra officium non facere, quod dixeris,
magisque ille, cui promissum sit, ab officio discedat, si se destitutum
queratur. Iam illis promissis standum non esse quis non videt, quae coactus quis
metu, quae deceptus dolo promiserit? quae quidem pleraque iure praetorio
liberantur, nonnulla legibus.
Oft auch kommt Unrecht vor infolge einer gewissen Rechtsverdrehung und einer raffinierten, aber
arglistigen Auslegung des Rechts. Hieraus ist jenes schon abgedroschene Sprichwort entstanden: "Das
strengste Recht ist strengstes Unrecht." In diesem Zusammenhang werden in der Politik viele Fehler
gemacht, wie jener es getan hat, der, nachdem für dreißig Tage ein Waffenstillstand mit dem Feind
geschlossen worden war, nachts die Felder verwüstete, weil man den Waffenstillstand für Tage, nicht für
Nächte vereinbart hätte. Nicht einmal unser Landsmann darf Zustimmung finden, wenn es stimmt, dass Q.
Fabius Labeo oder irgendein anderer - denn ich weiß darüber nur vom Hörensagen - den Einwohnern von Nola
und Neapel in einem Grenzstreit als Schiedsrichter vom Senat gegeben worden sei und, nachdem er sich an
Ort und Stelle begeben habe, mit beiden getrennt gesprochen habe, damit sie nichts aus Habsucht, nichts
aus Gier taten und sich lieber zurückziehen als vorrücken wollten. Weil beide dieses getan hatten, wurde
in der Mitte ziemlich viel Land übrig gelassen. Daher grenzte er ihr Gebiet so ab, wie sie selbst es
gesagt hatten; was in der Mitte übrig war, sprach er dem römischen Volk zu. Täuschung bedeutet eben
dieses, nicht Rechtsprechung. Deshalb ist in jeder Angelegenheit eine solche List zu meiden.
Existunt etiam saepe iniuriae calumnia quadam et nimis
callida sed malitiosa iuris interpretatione. Ex quo illud "summum ius summa
iniuria" factum est iam tritum sermone proverbium. Quo in genere etiam in re
publica multa peccantur, ut ille, qui, cum triginta dierum essent cum hoste
indutiae factae, noctu populabatur agros, quod dierum essent pactae, non noctium
indutiae. Ne noster quidem probandus, si verum est Q. Fabium Labeonem seu quem
alium--nihil enim habeo praeter auditum --arbitrum Nolanis et Neapolitanis de
finibus a senatu datum, cum ad locum venisset, cum utrisque separatim locutum,
ne cupide quid agerent, ne appetenter, atque ut regredi quam progredi mallent.
Id cum utrique fecissent, aliquantum agri in medio relictum est. Itaque illorum
finis sic, ut ipsi dixerant, terminavit; in medio relictum quod erat, populo
Romano adiudicavit. Decipere hoc quidem est, non iudicare. Quocirca in omni est
re fugienda talis sollertia.
Es müssen einige Pflichten auch gegenüber denen beachtet werden, von denen man ein Unrecht erlitten
hat. Denn für Rache und Strafe gibt es eine Grenze, und vielleicht reicht es aus, dass derjenige, der
herausgefordert hat, sein Unrecht bereut, damit er selbst in Zukunft nichts Dergleichen tut und die
anderen mit dem Unrecht weniger schnell bei der Hand sind. Und in der Außenpolitik müssen insbesondere
die Kriegsrechte beibehalten werden. Denn weil es zwei Arten gibt, eine Entscheidung herbeizuführen, die
eine durch Verhandlung, die andere durch Gewalt, und weil jene dem Menschen eigen ist, diese den Tieren,
muss man zu der letztgenannten erst dann seine Zuflucht nehmen, wenn es nicht möglich ist, die
erstgenannte zu gebrauchen.
Sunt autem quaedam officia etiam adversus eos servanda, a
quibus iniuriam acceperis. Est enim ulciscendi et puniendi modus; atque haud
scio an satis sit eum, qui lacessierit iniuriae suae paenitere, ut et ipse ne
quid tale posthac et ceteri sint ad iniuriam tardiores. Atque in re publica
maxime conservanda sunt iura belli. Nam cum sint duo genera decertandi, unum per
disceptationem, alterum per vim, cumque illud proprium sit hominis, hoc
beluarum, confugiendum est ad posterius, si uti non licet superiore.
Deshalb muss man sich zwar Kriegen aus dem Grund unterziehen, damit man ohne Schaden im Frieden
leben kann, wenn aber der Sieg errungen ist, müssen diejenigen begnadigt werden, die im Krieg nicht
grausam und unmenschlich gewesen sind, so wie unsere Vorfahren die Tusculaner, Aequer, Volscer, Sabiner
und Hernicer in die Bürgerschaft aufgenommen haben. Aber Karthago und Numantia zerstörten sie von Grund
aus; ich wollte, sie hätten Korinth nicht zerstört, aber ich glaube, sie verfolgten ein bestimmtes Ziel,
am meisten die Vorteilhaftigkeit der Lage, damit niemals schon die Lage an sich dazu auffordern konnte,
einen Krieg zu führen. Meiner Meinung nach muss man immer für den Frieden sorgen, der nichts befürchten
lässt. Wenn man mir nur in diesem Punkt Gehorsam geschenkt hätte, hätten wir nicht den besten, aber doch
wenigstens irgendeinen Staat, der jetzt überhaupt nicht existiert. Man muss sowohl für die sorgen, die
man gewaltsam besiegt hat, als auch diejenigen, die sich, nachdem sie ihre Waffen niedergelegt haben,
unter den Schutz der Feldherrn begeben werden, in Schutz nehmen, auch wenn der Sturmbock die Mauer
durchstoßen hat. Hierbei wurde bei den Unsrigen die Gerechtigkeit so sehr gepflegt, dass diejenigen, die
im Krieg besiegte Bürgerschaften und Völker in ihren Schutz aufgenommen hatten, nach der Sitte der
Vorfahren ihre Schutzherren waren.
Quare suscipienda quidem bella sunt ob eam causam, ut
sine iniuria in pace vivatur, parta autem victoria conservandi i, qui non
crudeles in bello, non inmanes fuerunt, ut maiores nostri Tusculanos, Aequos,
Volscos, Sabinos, Hernicos in civitatem etiam acceperunt, at Karthaginem et
Numantiam funditus sustulerunt; nollem Corinthum, sed credo aliquid secutos,
oportunitatem loci maxime, ne posset aliquando ad bellum faciendum locus ipse
adhortari. Mea quidem sententia paci, quae nihil habitura sit insidiarum, semper
est consulendum. In quo si mihi esset obtemperatum, si non optimam, at aliquam
rem publicam, quae nunc nulla est, haberemus. Et cum iis, quos vi deviceris
consulendum est, tum ii, qui armis positis ad imperatorum fidem confugient,
quamvis murum aries percusserit, recipiendi. In quo tantopere apud nostros
iustitia culta est, ut ii, qui civitates aut nationes devictas bello in fidem
recepissent, earum patroni essent more maiorum.
Nun ist sicherlich das Kriegsrecht höchst gewissenhaft durch das Fetialrecht des römischen Volkes
aufgezeichnet worden. Aus ihm kann erkannt werden, dass kein Krieg gerecht ist, es sei denn, er wird
geführt, nachdem Ersatz für erlittenen Schaden gefordert worden ist, oder er wurde vorher angedroht und
erklärt. [Der Feldherr Popilius hatte eine Provinz inne, in deren Heer ein Sohn Catos als Rekrut
Kriegsdienst leistete. Als aber Popilius beschloss, eine Legion zu entlassen, entließ er auch Catos
Sohn, der in derselben Legion Kriegsdienst leistete. Aber nachdem er aus Liebe zum Kampf im Heer
zurückgeblieben war, schrieb Cato an Popilius, er möge ihn, falls er es gestatte, dass er im Heer
zurückbleibe, einen zweiten Treueid schwören lassen, weil er, da der erste Eid ungültig geworden war,
mit den Feinden nicht kämpfen konnte. So hoch war die Gewissenhaftigkeit am Beginn eines Krieges.]
Ac belli quidem aequitas sanctissime fetiali populi
Romani iure perscripta est. Ex quo intellegi potest nullum bellum esse iustum,
nisi quod aut rebus repetitis geratur aut denuntiatum ante sit et indictum.
[Popilius imperator tenebat provinciam, in cuius exercitu Catonis filius tiro
militabat. Cum autem Popilio videretur unam dimittere legionem, Catonis quoque
filium, qui in eadem legione militabat, dimisit. Sed cum amore pugnandi in
exercitu remansisset, Cato ad Popilium scripsit, ut, si eum patitur in exercitu
remanere, secundo eum obliget militiae sacramento, quia priore amisso iure cum
hostibus pugnare non poterat.
Es gibt einen Brief des alten Marcus Cato an seinen Sohn Marcus, in dem er schreibt, er habe gehört,
dieser sei vom Konsul aus dem Dienst entlassen worden, als er in Makedonien im Krieg mit Perseus Soldat
war. Also mahnt er ihn sich davor zu hüten, einen Krieg zu beginnen; er sagt nämlich, es sei nicht
rechtens, dass derjenige, der kein Soldat sei, gegen den Feind kämpfe. Ich meinerseits nehme auch jenes
wahr, dass dadurch, dass derjenige, der nach seinem eigentlichen Namen ein Feind war, Fremder genannt
wurde, die Härte der Sache abgeschwächt worden ist. Fremder (hostis) nämlich wurde bei unseren Vorfahren
derjenige genannt, den wir nun einen Ausländer (peregrinus) nennen. Die Zwölftafelgesetze liefern den
Beweis: "Entweder ein vereinbarter Termin mit einem Fremden" und ebenso "Gegen einen Fremden ewiges
Eigentumsrecht". Was kann zu dieser Milde noch hinzugefügt werden, denjenigen, gegen den man Krieg
führt, mit einem so sanften Namen zu bezeichnen? Indessen machte schon die Dauer der Zeit diesen Namen
härter; denn er hat nicht mehr die Bedeutung "Fremdling" und ist ausschließlich für den erhalten
geblieben, der gegen einen Waffen trug.
Adeo summa erat observatio in bello movendo.] M. quidem
Catonis senis est epistula ad M. filium, in qua scribit se audisse eum missum
factum esse a consule cum in Macedonia bello Persico miles esset. Monet igitur
ut caveat, ne proelium ineat; negat enim ius esse, qui miles non sit cum hoste
pugnare. Equidem etiam illud animadverto, quod, qui proprio nomine perduellis
esset, is hostis vocaretur, lenitate verbi rei tristitiam mitigatam. Hostis enim
apud maiores nostros is dicebatur, quem nunc peregrinum dicimus. Indicant
duodecim tabulae: aut status dies cum hoste, itemque adversus hostem aeterna
auctoritas. Quid ad hanc mansuetudinem addi potest, eum, quicum bellum geras,
tam molli nomine appellare? Quamquam id nomen durius effecit iam vetustas; a
peregrino enim recessit et proprie in eo, qui arma contra ferret, remansit.
Wenn aber um die Herrschaft gekämpft und durch Krieg Ruhm gesucht wird, müssen dennoch auf jeden
Fall dieselben Gründe vorhanden sein, die, wie ich kurz zuvor gesagt habe, gerechte Kriegsgründe sind.
Aber diejenigen Kriege, bei denen es um den Ruhm von Herrschaft geht, sind weniger hart zu führen. Wie
wir nämlich gegen einen Bürger anders kämpfen, wenn er ein Feind, anders, wenn er ein Mitbewerber ist -
mit dem einen wird um Ehre und Würde gekämpft, mit dem anderen um Leben und Ruhm -, so wurde gegen die
Keltiberer und gegen die Kimbrer wie gegen Feinde Krieg geführt, wer von beiden am Leben bleiben, nicht
wer von beiden herrschen solle; mit den Latinern, Sabinern, Samniten, Puniern und mit Pyrrhus wurde um
die Herrschaft gekämpft. [Die Punier waren vertragsbrüchig, Hannibal grausam, die anderen gerechter.]
Berühmt sind jene Worte des Pyrrhus über die Zurückgabe der Kriegsgefangenen: Weder fordere ich Gold für
mich noch sollt ihr mir Lösegeld geben, da wir nicht um den Krieg kleinlich feilschen, sondern Krieg
führen, wollen Wir beide mit dem Eisen, nicht mit Geld um das Leben kämpfen. Ob die Herrin Fortuna will,
dass ihr oder dass ich herrsche, oder was sonst sie bringt, wollen wir durch Tapferkeit in Erfahrung
bringen. Und vernimm zugleich dieses Wort: Es ist mein fester Entschluss, die Freiheit derjenigen zu
schonen, deren Tapferkeit das Kriegsglück geschont hat. Ich schenke sie, nehmt sie mit, und ich gebe sie
mit dem Willen der großen Götter. Eine fürwahr königliche Meinung und des Geschlechts der Aeaciden
würdig.
Cum vero de imperio decertatur belloque quaeritur gloria,
causas omnino subesse tamen oportet easdem, quas dixi paulo ante iustas causas
esse bellorum. Sed ea bella, quibus imperii proposita gloria est, minus acerbe
gerenda sunt. Ut enim cum civi aliter contendimus, si est inimicus, aliter si
competitor (cum altero certamen honoris et dignitatis est, cum altero capitis et
famae) sic cum Celtiberis, cum Cimbris bellum ut cum inimicis gerebatur, uter
esset, non uter imperaret, cum Latinis, Sabinis, Samnitibus, Poenis, Pyrrho de
imperio dimicabatur. Poeni foedifragi, crudelis Hannibal, reliqui iustiores.
Pyrrhi quidem de captivis reddendis illa praeclara:
Nec mi aurum posco nec mi pretium dederitis,
Nec cauponantes bellum, sed belligerantes
Ferro, non auro vitam cernamus utrique.
Vosne velit an me regnare era, quidve ferat Fors,
Virtute experiamur. Et hoc simul accipe dictum:
Quorum virtuti belli Fortuna pepercit,
Eorundem libertati me parcere certum est.
Dono, ducite, doque volentibus cum magnis dis.
Aber auch wenn Einzelpersonen, durch die Lage veranlasst, dem Feind etwas versprochen haben, muss
das Wort in dieser Sache gehalten werden, wie z.B. im Ersten Punischen Krieg der von den Puniern
gefangen genommene Regulus, als er wegen eines Gefangenenaustausches nach Rom geschickt worden war und
geschworen hatte, er werde zurückkehren, gleich nach seiner Ankunft zuerst im Senat gegen die Rückgabe
der Kriegsgefangenen stimmte, dann aber, als er von Verwandten und Freunden zurückgehalten wurde, lieber
zur Hinrichtung zurückkehren als sein dem Feind gegebenes Wort brechen wollte.
Regalis sane et digna Aeacidarum genere sententia. Atque
etiam si quid singuli temporibus adducti hosti promiserunt, est in eo ipso fides
conservanda, ut primo Punico bello Regulus captus a Poenis, cum de captivis
commutandis Romam missus esset iurassetque se rediturum, primum, ut venit,
captivos reddendos in senatu non censuit, deinde, cum retineretur a propinquis
et ab amicis, ad supplicium redire maluit quam fidem hosti datam fallere.
[Aber im Zweiten Punischen Krieg nach der Schlacht bei Cannae ließen die Zensoren die zehn Männer,
die Hannibal nach Rom schickte und durch einen Eid zur Rückkehr verpflichtet hatte, wenn sie wegen des
Loskaufs der Gefangenen nichts erreichten, bei den Ärariern zurück, solange jeder von ihnen lebte, weil
sie falsch geschoren hätten, und ebenso jenen, der sich durch Umgehung des Eides schuldig gemacht hatte.
Als er nämlich mit Erlaubnis Hannibals aus dem Lager gegangen war, kehrte er bald darauf zurück, weil
er, wie er sagte, irgendetwas vergessen habe; danach entfernte er sich aus dem Lager und glaubte, vom
Eid entbunden zu sein, und er war es den Worten nach, nicht in Wirklichkeit. Immer aber muss bei einem
Versprechen bedacht werden, was man gemeint, nicht was man gesagt hat. Das bedeutendste Beispiel für
Gerechtigkeit gegenüber dem Feind aber wurde von unseren Vorfahren gegeben, als ein Überläufer des
Pyrrhus dem Senat versprach, er werde dem König Gift geben und ihn töten. Der Senat und C. Fabricius
übergaben ihn Pyrrhus. So billigte nicht einmal der Feind die Vernichtung eines mächtigen Aggressors im
Kriege, wenn ein Verbrechen damit verbunden wäre.]
Secundo autem Punico bello post Cannensem pugnam quos
decem Hannibal Romam misit astrictos iure iurando se redituros esse nisi de
redimendis is, qui capti erant, impetrassent, eos omnes censores, quoad quisque
eorum vixit, quod peierassent in aerariis reliquerunt, nec minus illum, qui iure
iurando fraude culpam invenerat. Cum enim permissu Hannibalis exisset e castris,
rediit paulo post, quod se oblitum nescio quid diceret; deinde egressus e
castris iure iurando se solutum putabat, et erat verbis, re non erat. Semper
autem in fide quid senseris, non quid dixeris, cogitandum est. Maximum autem
exemplum est iustitiae in hostem a maioribus nostris constitutum, cum a Pyrrho
perfuga senatui est pollicitus se venenum regi daturum et eum necaturum. Senatus
et C. Fabricius eum Pyrrho dedit. Ita ne hostis quidem et potentis et bellum
ultro inferentis interitum cum scelere approbavit.
Somit ist über die Pflichten im Krieg genug gesagt. Wir wollen aber daran denken, dass auch
gegenüber den Niedriggestellten Gerechtigkeit gewahrt werden muss. Am schlechtesten aber ist die Lage
und das Schicksal der Sklaven, die wie Söldner zu gebrauchen diejenigen Philosophen nicht schlecht
lehren, die es mit folgenden Worten befehlen: Leistung müsse eingefordert, das Gebührende gewährt
werden. Wenn aber auf zwei Weisen, d.h. entweder durch Gewalt oder durch Betrug Unrecht entsteht, ist
der Betrug gleichsam dem Füchslein eigen, die Gewalt dem Löwen; beides ist mit dem Menschsein völlig
unvereinbar, der Betrug jedoch verdient größeren Hass, aber von allen Arten der Ungerechtigkeit ist
keine sträflicher als die Ungerechtigkeit derer, die gerade dann, wenn sie einen Betrug begehen, sich
bemühen, als gute Menschen zu erscheinen. über die Gerechtigkeit ist genug gesprochen.
Ac de bellicis quidem officiis satis dictum est.
Meminerimus autem etiam adversus infimos iustitiam esse servandam. Est autem
infima condicio et fortuna servorum, quibus non male praecipiunt, qui ita iubent
uti, ut mercennariis, operam exigendam, iusta praebenda. Cum autem duobus modis,
id est aut vi aut fraude, fiat iniuria, fraus quasi vulpeculae, vis leonis
videtur; utrumque homine alienissimum, sed fraus odio digna maiore. Totius autem
iniustitiae nulla capitalior quam eorum, qui tum, cum maxime fallunt, id agunt,
ut viri boni esse videantur. De iustitia satis dictum.
Sodann soll, wie in Aussicht gestellt war, über die Wohltätigkeit und Freigebigkeit gesprochen
werden, die sicherlich der Natur des Menschen am angemessensten sind, aber Vorsichtsmaßregeln notwendig
machen. Es muss nämlich darauf geachtet werden, dass die Gäte weder genau denjenigen schadet, denen man
eine Wohltat zu erweisen gedenkt, noch den übrigen, zweitens dass die Güte nicht größer ist als die
materiellen Mittel, ferner dass jedem entsprechend seiner Würde zugeteilt wird; denn das ist die
Grundlage der Gerechtigkeit, auf die all dieses zu beziehen ist. Denn diejenigen, die jemandem zu
Gefallen tun, was jenem schadet, dem sie offenbar nützen wollen, dürfen weder für wohltätig noch für
freigebig gehalten werden, sondern sie haben als Unheil stiftende Schmeichler zu gelten, und diejenigen,
die den einen schaden, um gegenüber anderen freigebig zu sein, sind genauso im Unrecht, wie wenn sie
sich fremdes Gut aneigneten.
Deinceps, ut erat propositum, de beneficentia ac de
liberalitate dicatur, qua quidem nihil est naturae hominis accommodatius, sed
habet multas cautiones. Videndum est enim, primum ne obsit benignitas et iis
ipsis, quibus benigne videbitur fieri, et ceteris, deinde ne maior benignitas
sit, quam facultates, tum ut pro dignitate cuique tribuatur; id enim est
iustitiae fundamentum, ad quam haec referenda sunt omnia. Nam et qui
gratificantur cuipiam, quod obsit illi, cui prodesse velle videantur, non
benefici neque liberales, sed perniciosi assentatores iudicandi sunt, et qui
aliis nocent, ut in alios liberales sint, in eadem sunt iniustitia, ut si in
suam rem aliena convertant.
Es gibt aber viele und zwar nach Ansehen und Ruhm Begierige, die den einen entreißen, was sie den
anderen schenken, und diese glauben, sie würden den Eindruck erwecken, sie seien wohltätig gegenüber
ihren Freunden, falls sie diese auf jede erdenkliche Weise bereicherten. Diese Einstellung ist jedoch so
weit von einem pflichtmäßigen Handeln entfernt, dass es nichts Gegenteiligeres geben kann. Also muss
darauf geachtet werden, dass wir eine solche Freigebigkeit zeigen, die den Freunden nützt, niemandem
schadet. Daher darf die Vermögensübertragung durch L. Sulla und C. Caesar von den rechtmäßigen Besitzern
auf Freunde nicht für Freigebigkeit gehalten werden; denn nichts verdient die Bezeichnung freigebig, das
nicht zugleich auch gerecht ist.
Sunt autem multi et quidem cupidi splendoris et gloriae,
qui eripiunt aliis, quod aliis largiantur, ique arbitrantur se beneficos in suos
amicos visum iri, si locupletent eos quacumque ratione. Id autem tantum abest ab
officio, ut nihil magis officio possit esse contrarium. Videndum est igitur, ut
ea liberalitate utamur. quae prosit amicis, noceat nemini. Quare L. Sullae, C.
Caesaris pecuniarum translatio a iustis dominis ad alienos non debet liberalis
videri; nihil est enim liberale, quod non idem iustum.
Der zweite Punkt der Vorsicht besteht darin, dass die Güte nicht größer sein soll als die
materiellen Mittel, weil diejenigen, die gütiger sein wollen, als ihr Vermögen es erlaubt, zuerst
dadurch einen Fehler machen, dass sie gegen-über ihren nächsten Verwandten ungerecht sind; die Mittel
nämlich, die ihnen reichlich zu gewähren und zu vererben gerechter wäre, übertragen sie auf Freunde. Es
liegt aber in einer solchen Freigebigkeit das Verlangen, das meiste durch Unrecht an sich zu reißen und
fortzuschaffen, damit die Mittel zum Schenken vorhanden sind. Man kann sogar beobachten, dass die
meisten nicht so sehr von Natur aus freigebig sind als vielmehr aus einer gewissen Ruhmsucht heraus,
damit sie in ihrer Güte vieles zu tun scheinen, was augenscheinlich mehr der Prahlerei entspringt als
einer wahren Gesinnung. Eine solche Verstellung jedoch steht der Unehrlichkeit näher als der
Freigebigkeit oder dem Anstand.
Alter locus erat cautionis, ne benignitas maior esset
quam facultates, quod qui benigniores volunt esse, quam res patitur, primum in
eo peccant, quod iniuriosi sunt in proximos; quas enim copias his et suppeditari
aequius est et relinqui eas transferunt ad alienos. Inest autem in tali
liberalitate cupiditas plerumque rapiendi et auferendi per iniuriam, ut ad
largiendum suppetant copiae. Videre etiam licet plerosque non tam natura
liberales quam quadam gloria ductos, ut benefici videantur facere multa, quae
proficisci ab ostentatione magis quam a voluntate videantur. Talis autem
simulatio vanitati est coniunctior quam aut liberalitati aut honestati.
Der dritte Punkt, den wir angeführt haben, besteht darin, dass es bezüglich der Wohltätigkeit eine
Auswahl nach der Würdigkeit gibt; dabei ist der Charakter dessen zu beachten, dem man die Wohltat
erweisen wird, seine Gesinnung uns gegenüber, seine nähere oder entferntere Stellung zu uns im Leben und
die zuvor zu unserem Nutzen erwiesenen Dienste; dass dies alles zusammentrifft, ist wünschenswert;
andernfalls wird die Mehrheit der Gründe sowie ihre größere Triftigkeit mehr Gewicht haben.
Tertium est propositum, ut in beneficentia dilectus esset
dignitatis; in quo et mores eius erunt spectandi, in quem beneficium conferetur,
et animus erga nos et communitas ac societas vitae et ad nostras utilitates
officia ante collata; quae ut concurrant omnia, optabile est; si minus, plures
causae maioresque ponderis plus habebunt.
Aber da man nicht unter vollkommenen und vollständig weisen Menschen lebt, sondern unter solchen,
bei denen man schon sehr zufrieden sein muss, wenn in ihnen Abbilder der Tugend vorhanden sind, glaube
ich, dass auch dieses erkannt werden muss, dass niemand ganz vernachlässigt werden darf, in dem
überhaupt eine Andeutung von Tugend sichtbar wird, dass aber jeder um so mehr geschätzt werden muss, je
mehr er mit folgenden sanfteren Tugenden ausgestattet ist, mit Mäßigung, Selbstbeherrschung und eben der
Gerechtigkeit, über die schon vieles gesagt worden ist. Denn Tapferkeit und Hochsinn in einem nicht
vollkommenen und nicht weisen Menschen sind meistens zu heftig, jene Tugenden jedoch scheinen eher zu
einem rechtschaffenen Mann zu gehören. Und soweit über den Charakter.
Quoniam autem vivitur non cum perfectis hominibus
planeque sapientibus, sed cum iis, in quibus praeclare agitur, si sunt simulacra
virtutis, etiam hoc intellegendum puto, neminem omnino esse neglegendum, in quo
aliqua significatio virtutis appareat, colendum autem esse ita quemque maxime,
ut quisque maxime virtutibus his lenioribus erit ornatus, modestia, temperantia,
hac ipsa, de qua multa iam dicta sunt, iustitia. Nam fortis animus et magnus in
homine non perfecto nec sapiente ferventior plerumque est, illae virtutes bonum
virum videntur potius attingere. Atque haec in moribus.
Was aber das Wohlwollen betrifft, das jeder uns gegenüber hat, so gehört es als erstes zum
pflichtmäßigen Handeln, dass wir demjenigen am meisten zugestehen, von dem wir am meisten geschätzt
werden, das Wohlwollen aber nicht wie die jungen Leute gleichsam nach der Heftigkeit der Zuneigung,
sondern vielmehr nach Dauer und Festigkeit beurteilen. Wenn es sich aber um Wohltaten handelt, so dass
man sich nicht beliebt machen muss, sondern Dank abzustatten hat, ist eine geradezu noch größere
Aufmerksamkeit aufzubringen. Denn keine Pflicht ist notwendiger als das Abstatten von Dank.
De benivolentia autem, quam quisque habeat erga nos,
primum illud est in officio, ut ei plurimum tribuamus, a quo plurimum diligamur,
sed benivolentiam non adulescentulorum more ardore quodam amoris, sed
stabilitate potius et constantia iudicemus. Sin erunt merita, ut non ineunda,
sed referenda sit gratia, maior quaedam cura adhibenda est; nullum enim officium
referenda gratia magis necessarium est.
Wenn nun Hesiod befiehlt, das, was man als Darlehen empfangen hat, in noch größerem Maß, wenn man es
nur kann, zurückzuerstatten, was müssen wir dann, durch eine Wohltat veranlasst, tun? Doch wohl
fruchtbare Äcker nachahmen, die viel mehr hervorbringen, als sie angenommen haben? Denn wenn wir nicht
zögern, denjenigen, die, wie wir hoffen, uns nutzen werden, unsere Pflichten zu erweisen, wie müssen wir
uns dann denen gegenüber verhalten, die uns schon genutzt haben? Denn weil es zwei Arten von
Freigebigkeit gibt, die eine, eine Wohltat zu gewähren, die andere, sie zu vergelten, liegt es in
unserer Macht, ob wir sie gewähren oder nicht, sie nicht zu vergelten ist aber einem rechtschaffenen
Mann nicht erlaubt, wenn er dieses nur ohne Unrecht tun kann.
Quodsi ea, quae utenda acceperis, maiore mensura, si modo
possis, iubet reddere Hesiodus, quidnam beneficio provocati facere debemus? An
imitari agros fertiles, qui multo plus efferunt, quam acceperunt? Etenim si in
eos, quos speramus nobis profuturos, non dubitamus, officia conferre, quales in
eos esse debemus, qui iam profuerunt? Nam cum duo genera liberalitatis sint,
unum dandi beneficii, alterum reddendi, demus necne in nostra potestate est, non
reddere viro bono non licet, modo id facere possit sine iniuria.
Unter den empfangenen Wohltaten aber muss eine Unterscheidung gemacht werden, und es besteht kein
Zweifel, dass gerade den größten Wohltaten das meiste geschuldet wird. Hierbei ist dennoch besonders zu
erwägen, in welcher Gesinnung, aus welchem Bestreben und mit welchem Wohlwollen jeder gehandelt hat.
Viele nämlich machen vieles aus einer gewissen Unbesonnenheit heraus ohne Überlegung, entweder von einer
krankhaften Neigung gegenüber allen oder von einer merkwürdigen plötzlichen Aufwallung wie von einem
Sturmwind erfasst; diese Wohltaten dürfen nicht in gleicher Weise für bedeutend gehalten werden wie
diejenigen, die mit Überlegung, mit Bedacht und innerer Festigkeit erbracht worden sind. Aber wenn eine
Wohltat erwiesen oder Dank abgestattet wird, gehört, falls die übrigen Gesichtspunkte gleichrangig sind,
besonders dieses zur Pflicht, je mehr ein jeder der Hilfe bedarf, ihm um so lieber beizustehen; das
Gegenteil hiervon wird von den meisten getan; von wem sie sich nämlich das meiste erhoffen - auch wenn
jener diese nicht nötig hat -, dem sind sie dennoch hauptsächlich zu Diensten.
Acceptorum autem beneficiorum sunt dilectus habendi, nec
dubium, quin maximo cuique plurimum debeatur. In quo tamen inprimis, quo quisque
animo, studio, benivolentia fecerit, ponderandum est. Multi enim faciunt multa
temeritate quadam sine iudicio, vel morbo in omnes vel repentino quodam quasi
vento impetu animi incitati; quae beneficia aeque magna non sunt habenda atque
ea, quae iudicio, considerate constanterque delata sunt. Sed in collocando
beneficio et in referenda gratia, si cetera paria sunt, hoc maxime officii est,
ut quisque opis indigeat, ita ei potissimum opitulari; quod contra fit a
plerisque; a quo enim plurimum sperant, etiamsi ille iis non eget, tamen ei
potissimum inserviunt.
Am besten aber wird die Gemeinschaft der Menschen und ihr Zusammengehörigkeitsgefühl bewahrt
bleiben, wenn, je verbundener jeder sein wird, diesem um so mehr Güte erwiesen wird. Aber was die
natürlichen Grundlagen des menschlichen Zusammenlebens und der menschlichen Gemeinschaft sind, muss
offenbar gründlich behandelt werden. Es ist nämlich das erste Prinzip dasjenige, das in der Gemeinschaft
des gesamten Menschengeschlechtes erkennbar ist. Das Band dieser Gemeinschaft aber sind Vernunft und
Sprache, die durch Lehren, Lernen, SichBesprechen, Diskussion und endgültiges Urteil die Menschen
untereinander verbinden und durch einen ganz natürlichen Gemeinschaftsgeist zusammenbringen, und in
nichts sind wir weiter von der Natur der Tiere entfernt, denen, wie wir oft sagen, Tapferkeit einwohnt,
wie z.B. den Pferden und Löwen, Gerechtigkeit, einen Sinn für das rechte Maß und Güte hingegen nicht;
denn sie besitzen keine Vernunft und keine Sprache.
Optime autem societas hominum coniunctioque servabitur,
si, ut quisque erit coniunctissimus, ita in eum benignitatis plurimum
conferetur. Sed quae naturae principia sint communitatis et societatis humanae,
repetendum videtur altius. Est enim primum quod cernitur in universi generis
humani societate. Eius autem vinculum est ratio et oratio, quae docendo,
discendo, communicando, disceptando, iudicando conciliat inter se homines
coniungitque naturali quadam societate, neque ulla re longius absumus a natura
ferarum, in quibus inesse fortitudinem saepe dicimus, ut in equis, in leonibus,
iustitiam, aequitatem, bonitatem non dicimus; sunt enim rationis et orationis
expertes.
Und diese Gemeinschaft dehnt sich sehr weit aus auf die Menschen untereinander, auf alle unter
allen. In ihr muss die Allgemeinheit aller Güter, welche die Natur zum gemeinsamen Nutzen der Menschen
hervorgebracht hat, beibehalten werden, so dass diejenigen Güter, die durch die Gesetze und das
bürgerliche Recht zugewiesen worden sind, in der Weise Eigentum sind, wie es durch die Gesetze selbst
festgelegt ist, die übrigen Güter aber so betrachtet werden, wie es in einem griechischen Sprichwort
heißt, Freunden sei alles gemeinsam. Allen Menschen aber scheint das gemeinsam zu sein, was von der Art
ist, die, von Ennius auf einen Einzelfall beschränkt, auf sehr viele übertragen werden kann: Ein Mensch,
der einem Umherirrenden freundlich den Weg weist, macht, dass er gleichsam Licht an seinem Licht
anzündet. Nichtsdestoweniger leuchtet das Licht für ihn selbst, obwohl er es für jenen angezündet hat.
Aufgrund eines Beispiels gibt er eine zutreffende Vorschrift, dass all das, was ohne Schaden zur
Verfügung gestellt werden kann, sogar einem Unbekannten zugeteilt werden soll.
Ac latissime quidem patens hominibus inter ipsos, omnibus
inter omnes societas haec est. In qua omnium rerum, quas ad communem hominum
usum natura genuit, est servanda communitas, ut quae discripta sunt legibus et
iure civili, haec ita teneantur, ut sit constitutum e quibus ipsis, cetera sic
observentur, ut in Graecorum proverbio est, amicorum esse communia omnia. Omnium
autem communia hominum videntur ea, quae sunt generis eius, quod ab Ennio
positum in una re transferri in permultas potest:
Homo, qui erranti comiter monstrat viam,
Quasi lumen de suo lumine accendat, facit.
Nihilo minus ipsi lucet, cum illi accenderit.
Una ex re satis praecipit, ut quidquid sine detrimento
commodari possit, id tribuatur vel ignoto.
Zu jenem Bereich gehören jene allgemeinen Grundsätze: nicht vom fließenden Wasser fernhalten,
zulassen, dass jemand Feuer am Feuer entzündet, wenn er es will, jemandem, der überlegt, einen
zuverlässigen Rat erteilen: Gefälligkeiten, die für diejenigen nützlich sind, die sie annehmen, und
nicht beschwerlich für denjenigen, der sie erbringt. Daher muss man diese Grundsätze befolgen und immer
etwas zum gemeinsamen Nutzen beitragen. Aber da die Hilfsmittel der Einzelnen gering sind, die Menge
derer aber, die dieser bedürfen, unbegrenzt ist, muss sich die allgemeine Großzügigkeit nach jener von
Ennius gesetzten Grenze richten - 'nichtsdestoweniger leuchtet das Licht für ihn selbst' - damit es die
Möglichkeit gibt, dass wir gegenüber unseren Angehörigen freigebig sind.
Ex quo sunt illa communia: non prohibere aqua profluente,
pati ab igne ignem capere, si qui velit, consilium fidele deliberanti dare, quae
sunt iis utilia, qui accipiunt, danti non molesta. Quare et his utendum est et
semper aliquid ad communem utilitatem afferendum. Sed quoniam copiae parvae
singulorum sunt, eorum autem, qui his egeant, infinita est multitudo, vulgaris
liberalitas referenda est ad illum Ennii finem "nihilominus ipsi lucet", ut
facultas sit, qua in nostros simus liberales.
Es gibt aber mehrere Grade menschlicher Gemeinschaft. Um nämlich von jener unbegrenzten Gemeinschaft
abzusehen: näher steht einem die Gemeinschaft desselben Volkes, desselben Stammes und derselben Sprache,
durch die Menschen am meisten verbunden werden. Ein noch engeres Band ist es, ein Mitglied derselben
Bürgerschaft zu sein; denn vieles haben die Bürger untereinander gemeinsam: das Forum, Heiligtümer,
Säulenhallen, Straßen, Gesetze, Rechtsnormen, Gerichte, Abstimmungen, außerdem geselligen Verkehr und
vertrauten Umgang sowie überhaupt Geschäfts- und Handelsverbindungen, in die viele mit vielen eintreten.
Aber ein noch engeres Band ist die Gemeinschaft der Verwandten; denn gegenüber jener unermesslichen
Gemeinschaft des Menschengeschlechtes verengt diese sich auf einen ganz kleinen Kreis.
Gradus autem plures sunt societatis hominum. Ut enim ab
illa infinita discedatur, proprior est eiusdem gentis, nationis, linguae, qua
maxime homines coniunguntur. Interius etiam est eiusdem esse civitatis; multa
enim sunt civibus inter se communia, forum, fana, porticus, viae, leges, iura,
iudicia, suffragia, consuetudines praeterea et familiaritates multisque cum
multis res rationesque contractae. Artior vero colligatio est societatis
propinquorum; ab illa enim inmensa societate humani generis in exiguum
angustumque concluditur.
Denn weil dieses von Natur aus den Lebewesen gemeinsam ist, dass sie den Zeugungstrieb haben,
besteht die erste Stufe der Gemeinschaft in der Ehe selbst, die nächste in den Kindern, dann folgen die
Gemeinschaft eines Hauses und die Gemeinsamkeit des ganzen Besitzes; dies aber ist der Ursprung der
Stadt und gleichsam die Pflanzstätte des Staates. Es folgen die Verbindungen der Geschwister, danach die
Verbindungen der Vettern mütterlicher- und väterlicherseits, die in andere Häuser wie in Kolonien
ausziehen, weil sie in einem einzigen Haus nicht beherbergt werden können. Es folgen gesetzmäßige Ehen
und Verschwägerungen, wodurch der Kreis der Verwandten sich noch vergrößert; diese Fortpflanzung und
Nachkommenschaft ist der Ursprung der Staaten. Die Blutsverwandtschaft aber verbindet die Menschen durch
Wohlwollen und Liebe.
Nam cum sit hoc natura commune animantium, ut habeant
libidinem procreandi, prima societas in ipso coniugio est, proxima in liberis,
deinde una domus, communia omnia; id autem est principium urbis et quasi
seminarium rei publicae. Sequuntur fratrum coniunctiones, post consobrinorum
sobrinorumque, qui cum una domo iam capi non possint, in alias domos tamquam in
colonias exeunt. Sequuntur conubia et affinitates ex quibus etiam plures
propinqui; quae propagatio et suboles origo est rerum publicarum. Sanguinis
autem coniunctio et benivolentia devincit homines [et] caritate.
Es ist nämlich etwas Großartiges, dieselben Monumente der Vorfahren zu haben, dieselben heiligen
Bräuche zu verwenden, gemeinsame Grabstätten zu besitzen. [Aber von allen Gemeinschaften ist keine
vortrefflicher, keine gefestigter, als wenn rechtschaffene Männer, die sich in ihrem Charakter ähneln,
durch Freundschaft verbunden sind; denn jenes Sittlichgute, das wir oft nennen, zieht uns, auch wenn wir
es in einem anderen erblicken, dennoch an und verschafft jenem Freunde, dem es offenbar einwohnt.
Magnum est enim eadem habere monumenta maiorum, eisdem
uti sacris, sepulchra habere communia. Sed omnium societatum nulla praestantior
est, nulla firmior, quam cum viri boni moribus similes sunt familiaritate
coniuncti; illud enim honestum, quod saepe dicimus, etiam si in alio cernimus,
[tamen] nos movet atque illi in quo id inesse videtur amicos facit.]
Und obwohl uns jede Tugend anlockt und bewirkt, dass wir diejenigen schätzen, die über sie zu
verfügen scheinen, tragen dennoch Gerechtigkeit und Freigebigkeit am meisten dazu bei.] Nichts ist aber
liebenswürdiger als die Ähnlichkeit eines guten Charakters; denn bei denjenigen, welche dieselben
Interessen und dieselben Zielsetzungen haben, kommt es vor, dass jeder sich in gleicher Weise am anderen
erfreut wie an sich selbst, und es wird das erreicht, was Pythagoras in der Freundschaft erreicht wissen
möchte, dass aus mehreren ein einziger wird. Bedeutend ist auch jene Gemeinschaft, die auf gegenseitigen
Wohltaten beruht; solange diese wechselseitig sind und Gefallen finden, werden diejenigen, unter denen
diese Wohltaten ausgetauscht werden, durch ein starkes Band verknüpft.
Et quamquam omnis virtus nos ad se allicit facitque, ut
eos diligamus, in quibus ipsa inesse videatur, tamen iustitia et liberalitas id
maxime efficit. Nihil autem est amabilius nec copulatius, quam morum similitudo
bonorum; in quibus enim eadem studia sunt, eaedem voluntates, in iis fit, ut
aeque quisque altero delectetur ac se ipso, efficiturque id, quod Pythagoras
vult in amicitia, ut unus fiat ex pluribus. Magna etiam illa communitas est,
quae conficitur ex beneficiis ultro et citro datis acceptis, quae et mutua et
grata dum sunt, inter quos ea sunt firma devinciuntur societate.
Aber wenn man alles mit Vernunft und Herz durchdenkt, ist von allen Gemeinschaften keine wichtiger,
keine teurer als diejenige, die jeder einzelne von uns mit dem Staat hat. Teuer sind die Eltern, teuer
sind die Kinder, teuer sind die Verwandten und Freunde, aber alle Gefühle der Zuneigung aller hat sich
das eine Vaterland angeeignet. Aber welcher rechtschaffene Mensch dürfte zögern, für dieses den Tod zu
suchen, falls es ihm nutzen würde? Umso verabscheuenswürdiger ist die Unmenschlichkeit derjenigen, die
durch Frevel aller Art das Vaterland zerfleischt haben und damit beschäftigt sind und waren, dieses von
Grund auf zu zerstören.
Sed cum omnia ratione animoque lustraris, omnium
societatum nulla est gravior, nulla carior quam ea, quae cum re publica est uni
cuique nostrum. Cari sunt parentes, cari liberi, propinqui, familiares, sed
omnes omnium caritates patria una complexa est, pro qua quis bonus dubitet
mortem oppetere, si ei sit profuturus? Quo est detestabilior istorum immanitas,
qui lacerarunt omni scelere patriam et in ea funditus delenda occupati et sunt
et fuerunt.
Aber wenn eine Art Streit und ein Vergleich darüber entsteht, wem ein Höchstmaß an Dienstleistung zu
erweisen ist, dürften die Ersten das Vaterland und die Eltern sein, durch deren Wohltaten wir am meisten
verpflichtet sind, als nächstes die Kinder und die ganze Hausgemeinschaft, die ihre Blicke auf uns
allein richtet und keinen anderen Zufluchtsort haben kann, sodann die in gutem Einvernehmen mit uns
lebenden Verwandten, mit denen uns gewöhnlich auch die äußeren Lebensumstände gemeinsam sind. Deshalb
werden die notwendigen Hilfsmittel des Lebens besonders den vorhin Erwähnten geschuldet, die gemeinsame
Führung und Sicherung des Lebens aber, Beratungen, Gespräche, Aufmunterungen, Trostworte und zuweilen
auch Zurechtweisungen haben in Freundschaften die größte Wirkung, und diejenige Freundschaft ist am
angenehmsten, welche die Ähnlichkeit des Charakters verbunden hat.
Sed si contentio quaedam et comparatio fiat, quibus
plurimum tribuendum sit officii, principes sint patria et parentes, quorum
beneficiis maximis obligati sumus proximi liberi totaque domus, quae spectat in
nos solos neque aliud ullum potest habere perfugium, deinceps bene convenientes
propinqui, quibuscum communis etiam fortuna plerumque est. Quamobrem necessaria
praesidia vitae debentur his maxime quos ante dixi, vita autem victusque
communis, consilia, sermones, cohortationes, consolationes, interdum etiam
obiurgationes in amicitiis vigent maxime, estque ea iucundissima amicitia, quam
similitudo morum coniugavit.
Aber bei all diesen Diensterweisen wird man darauf achten müssen, was jedem am meisten erwiesen
werden muss und was jeder auch ohne uns erreichen kann oder nicht. So werden die Abstufungen bei engen
Verbindungen nicht dieselben sein wie die bei äußeren Umständen, und es gibt Pflichten, die den einen
mehr als den anderen geschuldet werden; z.B. könntest du bei der Einbringung der Ernte einem Nachbarn
schneller helfen als einem Bruder oder Freund, aber wenn ein Streit vor Gericht anhängig ist, dürftest
du wohl eher einen Verwandten und Freund als einen Nachbarn verteidigen. Also ist dieses und Derartiges
bei jedem Dienst zu bedenken, [und wir müssen uns Übung und Gewähnung verschaffen] damit wir gute
Berechner der Pflichten sein können und durch Addition und Subtraktion zu sehen vermögen, was der
Restbetrag ist, aus dem man erkennt, wie viel jedem geschuldet wird.
Sed in his omnibus officiis tribuendis videndum erit,
quid cuique maxime necesse sit et quid quisque vel sine nobis aut possit
consequi aut non possit. Ita non idem erunt necessitudinum gradus qui temporum,
suntque officia, quae aliis magis quam aliis debeantur, ut vicinum citius
adiuveris in fructibus percipiendis quam aut fratrem aut familiarem, at, si lis
in iudicio sit, propinquum potius et amicum quam vicinum defenderis. Haec igitur
et talia circumspicienda sunt in omni officio [et consuetudo exercitatioque
capienda], ut boni ratiocinatores officiorum esse possimus et addendo
deducendoque videre, quae reliqui summa fiat, ex quo quantum cuique debeatur
intellegas.
Aber wie weder Ärzte noch Feldherrn noch Redner, mögen sie sich auch die Theorie zu eigen gemacht
haben, ohne Praxis und Erfahrung etwas erreichen können, was großen Lobes würdig ist, so werden zwar
jene Vorschriften für rechtes Handeln weitergegeben, wie wir selbst es tun, aber die Bedeutung der Sache
verlangt auch Praxis und Erfahrung. Und wir haben fast hinreichend ausgeführt, auf welche Weise aus den
Handlungen, die gerecht sind in der menschlichen Gemeinschaft, das Sittlichgute abgeleitet wird, von dem
das pflichtmäßige Handeln abhängig ist.
Sed ut nec medici nec imperatores nec oratores quamvis
artis praecepta perceperint, quicquam magna laude dignum sine usu et
exercitatione consequi possunt, sic officii conservandi praecepta traduntur illa
quidem, ut facimus ipsi, sed rei magnitudo usum quoque exercitationemque
desiderat. Atque ab iis rebus, quae sunt in iure societatis humanae, quemadmodum
ducatur honestum, ex quo aptum est officium, satis fere diximus.
Man muss aber wissen, da vier Betätigungsfelder aufgestellt worden sind, aus denen Sittlichkeit und
pflichtmäßiges Handeln hervorgehen, dass der Bereich am glänzendsten zu sein scheint, der durch eine
große und erhabene Haltung, die auf äußerliche Werte herabblickt, entstanden ist. Daher liegt bei
Vorwürfen ein Wort besonders nahe, falls etwas Derartiges gesagt werden kann: 'Ihr nämlich, junge
Männer, zeigt die Gesinnung einer Frau, jenes Mädchen aber die eines Mannes'; und falls es etwas von
dieser Art gibt: 'Salmakidenbeute ohne Schweiß und Blut (hast du)'. Andererseits loben wir gleichsam in
vollerem Tone in Lobreden irgendwie das, was in erhabener Haltung, tapfer und vortrefflich getan worden
ist. Von dieser Art ist das Betätigungsfeld der Redelehrer über Marathon, Salamis, Plataea, Thermopylae
und Leuctra; daher werden unser Cocles, die Decier, Cn. und P. Scipio, M. Marcellus und unzählige andere
gelobt, und besonders das römische Volk selbst zeichnet sich durch eine erhabene Gesinnung aus. Deutlich
aber wird das Streben nach Kriegsruhm dadurch, dass wir auch Statuen in beinahe kriegerischer Aufmachung
sehen.
Intellegendum autem est, cum proposita sint genera
quattuor, e quibus honestas officiumque manaret, splendidissimum videri, quod
animo magno elatoque humanasque res despiciente factum sit. Itaque in probris
maxime in promptu est, si quid tale dici potest:
"Vos enim, iuvenes, animum geritis muliebrem,
illa" virgo "viri"
et si quid eiusmodi:
Salmacida, spolia sine sudore et sanguine.
Contraque in laudibus, quae magno animo et fortiter excellenterque gesta sunt, ea nescio
quomodo quasi pleniore ore laudamus. Hinc rhetorum campus de Marathone,
Salamine, Plataeis, Thermopylis, Leuctris, hinc noster Cocles, hinc Decii, hinc
Cn. et P. Scipiones, hinc M. Marcellus, innumerabiles alii, maximeque ipse
populus Romanus animi magnitudine excellit. Declaratur autem studium bellicae
gloriae, quod statuas quoque videmus ornatu fere militari.
Aber wenn diese erhabene Gesinnung, die in Gefahren und bei Strapazen erkennbar ist, frei von
Gerechtigkeit ist und nicht für das Gemeinwohl streitet, sondern für ihre eigenen Vorteile, gilt sie als
Fehler; denn dieses ist nicht nur nicht ein Ausdruck von Tugend, sondern vielmehr von Brutalität, die
jedes menschliche Gefühl von sich weist. Daher wird von den Stoikern die Tapferkeit treffend definiert,
wenn sie sagen, sie sei eine Tugend, die für Recht und Billigkeit kämpft. Deswegen hat niemand, der den
Ruhm der Tugend durch Hinterhältigkeit und Arglist erreicht hat, wahres Lob erlangt: Nichts kann
sittlich gut sein, was frei von Gerechtigkeit ist.
Sed ea animi elatio, quae cernitur in periculis et
laboribus, si iustitia vacat pugnatque non pro salute communi, sed pro suis
commodis, in vitio est; non modo enim id virtutis non est, sed est potius
immanitatis omnem humanitatem repellentis. Itaque probe definitur a Stoicis
fortitudo, cum eam virtutem esse dicunt propugnantem pro aequitate. Quocirca
nemo, qui fortitudinis gloriam consecutus est insidiis et malitia, laudem est
adeptus: nihil enim honestum esse potest, quod iustitia vacat.
Vortrefflich also ist jene Stelle bei Plato: 'Nicht nur die Weisheit', sagte er, 'die von
Gerechtigkeit frei ist, muss eher Verschlagenheit als Weisheit genannt werden, sondern auch ein zur
übernahme von Gefahr bereiter Charakter soll, falls er sich durch sein eigenes Verlangen, nicht durch
den gemeinsamen Nutzen antreiben lässt, eher die Bezeichnung Verwegenheit als Tapferkeit haben.' Daher
wollen wir, dass tapfere und großmßtige Männer zugleich rechtschaffen und aufrichtig sind, Freunde der
Wahrheit und nicht im Mindesten trügerisch; diese Eigenschaften gehören zu dem innersten Wesen der
Gerechtigkeit.
Praeclarum igitur illud Platonis: "Non," inquit, "solum
scientia, quae est remota ab iustitia calliditas potius quam sapientia est
appellanda, verum etiam animus paratus ad periculum, si sua cupiditate, non
utilitate communi impellitur, audaciae potius nomen habeat, quam fortitudinis."
Itaque viros fortes et magnanimos eosdem bonos et simplices, veritatis amicos
minimeque fallaces esse volumus; quae sunt ex media laude iustitiae.
Aber jenes ist widerwärtig, dass nämlich bei dieser Erhabenheit und Größe des Geistes sehr leicht
Hartnäckigkeit und ein allzu starkes Verlangen nach der ersten Stelle aufkommen. Wie es nämlich bei
Platon heißt, dass der ganze Charakter der Spartaner durch das Verlangen zu siegen entflammt sei, so
will ein jeder, je mehr er sich durch Großmut auszeichnet, um so mehr der Erste von allen oder vielmehr
der Einzige sein. Es ist aber schwierig, wenn man alle zu übertreffen wünscht, einen Sinn für
Rechtmäßigkeit zu bewahren, der für die Gerechtigkeit besonders wesentlich ist. Daher geschieht es, dass
sie nicht zulassen, dass sie in einer Diskussion oder durch Recht und Gesetz des Staates besiegt werden,
und sie erweisen sich in einem Staat meistens als Bestecher und Parteigänger, damit sie möglichst große
Macht erlangen und eher durch Gewalt überlegen als durch Gerechtigkeit gleichgestellt sind. Aber je
schwieriger es ist, Rechtmäßigkeit zu wahren, desto größer ist der Ruhm. Es gibt nämlich keine Zeit, die
frei von Gerechtigkeit sein darf.
Sed illud odiosum est, quod in hac elatione et
magnitudine animi facillime pertinacia et nimia cupiditas principatus
innascitur. Ut enim apud Platonem est, omnem morem Lacedaemoniorum inflammatum
esse cupiditate vincendi, sic, ut quisque animi magnitudine maxime excellet, ita
maxime vult princeps omnium vel potius solus esse. Difficile autem est, cum
praestare omnibus concupieris, servare aequitatem, quae est iustitiae maxime
propria. Ex quo fit ut neque disceptatione vinci se nec ullo publico ac legitimo
iure patiantur, existuntque in re publica plerumque largitores et factiosi, ut
opes quam maximas consequantur et sint vi potius superiores quam iustitia pares.
Sed quo difficilius, hoc praeclarius; nullum enim est tempus, quod iustitia
vacare debeat.
für tapfer und großmütig dürfen nicht diejenigen gehalten werden, die Unrecht begehen, sondern
diejenigen, die es abwehren. Echter und weiser Großmut aber glaubt, dass jenes Sittlichgute, nach dem
die Natur am meisten strebt, auf Taten beruht und nicht auf Ruhm, und er will lieber der Beste sein als
scheinen. Denn wer von der Launenhaftigkeit der unwissenden Menge abhängt, darf nicht zu den großen
Männern gezählt werden. Um so leichter aber wird jeder durch das Verlangen nach Ruhm zu ungerechten
Handlungen verleitet, je hochstrebender sein Charakter ist; dieses Thema ist allerdings schwierig, weil
sich kaum jemand finden lässt, der nicht, nachdem er Strapazen auf sich genommen und sich Gefahren
unterzogen hat, Ruhm gleichsam als Belohnung für seine Taten ersehnt.
Fortes igitur et magnanimi sunt habendi non qui faciunt,
sed qui propulsant iniuriam. Vera autem et sapiens animi magnitudo honestum
illud, quod maxime natura sequitur, in factis positum, non in gloria iudicat
principemque se esse mavult quam videri. Etenim qui ex errore imperitae
multitudinis pendet, hic in magnis viris non est habendus. Facillime autem ad
res iniustas impellitur, ut quisque altissimo animo est, gloriae cupiditate; qui
locus est sane lubricus, quod vix invenitur, qui laboribus susceptis
periculisque aditis non quasi mercedem rerum gestarum desideret gloriam.
Im Allgemeinen ist eine tapfere und erhabene Gesinnung besonders an zwei Haltungen erkennbar, von
denen die eine auf der Verachtung äußerlicher Werte beruht, indem man überzeugt ist, dass der Mensch nur
das Sittlichgute und Schickliche bewundern, wünschen und erstreben darf und es sich nicht gebührt, wenn
er irgendjemandem nachgibt, weder einem Menschen noch einer Leidenschaft noch dem Zufall. Eine zweite
Haltung besteht darin, dass du, wenn du so eingestellt bist, wie ich oben gesagt habe, nicht nur
bedeutende und besonders nützliche Taten verrichtest, sondern auch sehr schwierige, die voll von Mühen
und Gefahren sind, für das Leben und für lebenswichtige Belange.
Omnino fortis animus et magnus duabus rebus maxime
cernitur, quarum una in rerum externarum despicientia ponitur, cum persuasum est
nihil hominem nisi quod honestum decorumque sit aut admirari aut optare aut
expetere oportere, nullique neque homini neque perturbationi animi nec fortunae
succumbere. Altera est res, ut cum ita sis affectus animo, ut supra dixi, res
geras magnas illas quidem et maxime utiles, sed ut vehementer arduas plenasque
laborum et periculorum cum vitae, tum multarum rerum, quae ad vitam pertinent.
Der ganze Glanz und das Ansehen dieser beiden Haltungen - ich füge auch ihren Nutzen hinzu - liegt
in der letzteren, die bewirkende Ursache aber, die bedeutende Männer schafft, liegt in der ersten
Haltung. Hierauf nämlich beruht jenes, was eine herausragende und äußerliche Werte verachtende Gesinnung
hervorbringt. [Eben dieses aber zeigt sich in zwei Verhaltensweisen, wenn du nur das, was sittlich gut
ist, für rechtschaffen hältst und von jeder Leidenschaft frei bist.] Denn das, was den meisten
außerordentlich und herrlich zu sein scheint, gering zu schätzen und dieses mit einer gleichbleibenden
und festen Haltung zu verachten muss als Ausdruck einer tapferen und erhabenen Gesinnung gewertet
werden, und das, was bitter erscheint, was vielfach und in mannigfacher Gestalt in dem vom Schicksal
bestimmten Leben der Menschen vorkommt, so zu ertragen, dass du um nichts von dem natürlichen Zustand
abweichst, um nichts von der Würde des Weisen, ist Ausdruck einer kraftvollen Haltung und einer großen
Unerschütterlichkeit.
Harum rerum duarum splendor omnis, amplitudo, addo etiam
utilitatem, in posteriore est, causa autem et ratio efficiens magnos viros in
priore. In eo est enim illud, quod excellentes animos et humana contemnentes
facit. Id autem ipsum cernitur in duobus, si et solum id, quod honestum sit,
bonum iudices et ab omni animi perturbatione liber sis. Nam et ea, quae eximia
plerisque et praeclara videntur, parva ducere eaque ratione stabili firmaque
contemnere fortis animi magnique ducendum est, et ea, quae videntur acerba, quae
multa et varia in hominum vita fortunaque versantur, ita ferre, ut nihil a statu
naturae discedas, nihil a dignitate sapientis. robusti animi est magnaeque
constantiae.
Es ist aber nicht folgerichtig, dass derjenige, der sich von der Furcht nicht überwältigen lässt,
sich von dem Verlangen bezwingen lässt, und auch nicht, dass derjenige, der sich als von Mühsal
unbezwingbar erwiesen hat, von dem Vergnügen besiegt wird. Daher muss man diese meiden und dem Verlangen
nach Geld zu entgehen suchen; nichts nämlich ist Ausdruck einer kleinmütigen und engherzigen Gesinnung
wie den Reichtum zu lieben, nichts ist ehrenvoller und großartiger als das Geld zu verachten, wenn man
es nicht hat, und wenn man es aber hat, es auf großzügige Wohltätigkeit zu verwenden. Hüten muss man
sich auch vor dem Verlangen nach Ruhm, wie ich oben gesagt habe; denn es entreißt die freie Gesinnung,
für deren Erhalt großmütige Männer jede Anstrengung aufbringen müssen. Aber Kommandostellen dürfen nicht
erstrebt werden, sondern vielmehr sind sie zuweilen nicht anzunehmen oder manchmal niederzulegen.
Non est autem consentaneum, qui metu non frangatur, eum
frangi cupiditate, nec qui invictum se a labore praestiterit, vinci a voluptate.
Quam ob rem et haec vitanda et pecuniae fugienda cupiditas; nihil enim est tam
angusti animi tamque parvi quam amare divitias, nihil honestius
magnificentiusque quam pecuniam contemnere, si non habeas, si habeas, ad
beneficentiam liberalitatemque conferre. Cavenda etiam est gloriae cupiditas, ut
supra dixi; eripit enim libertatem, pro qua magnanimis viris omnis debet esse
contentio. Nec vero imperia expetenda ac potius aut non accipienda interdum aut
deponenda non numquam.
Man muss aber von jeder Leidenschaft frei sein, sowohl von Begierde und Furcht als auch von
Bekümmernis und Freude, damit Seelenruhe und Heiterkeit zugegen sind, die Unerschütterlichkeit und
Selbstachtung mit sich bringen. Viele aber gibt es und hat es gegeben, die diese Ruhe, von der ich
spreche, erstrebt, sich deswegen aus der Politik zurückgezogen und ihre Zuflucht bei der Muße genommen
haben, unter ihnen die berühmtesten und bei weitem angesehensten Philosophen und einige strenge und
charakterfeste Menschen; einige konnten weder die Launen des Volkes noch die der Mächtigen ertragen und
lebten auf dem Lande, wobei sie sich an ihrem privaten Besitz erfreuten.
Vacandum autem omni est animi perturbatione, cum
cupiditate et metu, tum etiam aegritudine et voluptate nimia et iracundia, ut
tranquillitas animi et securitas adsit, quae affert cum constantiam tum etiam
dignitatem. Multi autem et sunt et fuerunt, qui eam, quam dico, tranquillitatem
expetentes a negotiis publicis se removerint ad otiumque perfugerint, in his et
nobilissimi philosophi longeque principes et quidam homines severi et graves,
nec populi nec principum mores ferre potuerunt vixeruntque non nulli in agris
delectati re sua familiari.
Diese hatten denselben Vorsatz wie Könige, nichts zu bedürfen, niemandem zu gehorchen, die Freiheit
zu gebrauchen, einen Vorsatz, dessen Wesenszug es ist, so zu leben, wie man will. Weil diesen
Lebensgrundsatz die Machtbegierigen mit diesen oben genannten Müßigen gemeinsam haben, deswegen meinen
die einen, sie könnten dieses erreichen, wenn sie großen Reichtum hätten, die anderen, wenn sie mit dem
Ihrigen und mit Wenigem zufrieden seien. Dabei darf zwar die Meinung keiner von beiden Parteien
verachtet werden, aber leichter, sicherer und durch andere weniger beschwert oder unangenehm ist das
Leben der Müßigen, Gewinn bringender jedoch für das Menschengeschlecht und geeigneter für Glanz und
Ansehen ist das Leben derer, die sich dem Staat und der Verrichtung großer Aufgaben gewidmet haben.
His idem propositum fuit quod regibus, ut ne qua re
egerent, ne cui parerent, libertate uterentur, cuius proprium est sic vivere ut
velis. Quare cum hoc commune sit potentiae cupidorum cum his, quos dixi,
otiosis, alteri se adipisci id posse arbitrantur, si opes magnas habeant, alteri
si contenti sint et suo et parvo. In quo neutrorum omnino contemnenda sententia
est, sed et facilior et tutior et minus aliis gravis aut molesta vita est
otiosorum, fructuosior autem hominum generi et ad claritatem amplitudinemque
aptior eorum, qui se ad rem publicam et ad magnas res gerendas accomodaverunt.
Deswegen muss man vielleicht denen gegenüber Nachsicht üben, da sie nicht die politische Laufbahn
eingeschlagen haben, die sich auf Grund ihrer ausgezeichneten Begabung der Gelehrsamkeit hingegeben
haben, und auch gegenüber denjenigen, die sich, entweder durch ihre schwache Gesundheit oder durch einen
anderen gewichtigeren Grund eingeschränkt, aus der Politik zurückgezogen haben, wobei sie aber die
Gelegenheit und das Verdienst, den Staat zu leiten, anderen überließen. Denjenigen aber, die keinen
solchen Grund haben, darf nicht nur nicht als Lob, sondern muss als Fehler, wie ich glaube, ausgelegt
werden, wenn sie sagen, sie verachteten das, was die meisten bewundern, militärische und zivile Ämter.
Schwierig ist es, deren Entscheidung in dem Punkte, dass sie Ruhm verachten und gering schätzen, nicht
anzuerkennen, aber sie fürchten offenbar Anstrengungen und Beschwerlichkeiten, sodann eine Art von
Schande und Schmach bei Scheitern und Abweisung. Denn es gibt welche, die bei Widerständen allzu wenig
Halt haben, die Lust zwar sehr rigoros verachten, im Schmerz aber allzu empfindlich sind, sich um den
Ruhm zwar nicht kümmern, sich aber durch einen üblen Ruf entmutigen lassen, und das ohne rechte
Konsequenz.
Quapropter et iis forsitan concedendum sit rem publicam
non capessentibus, qui excellenti ingenio doctrinae sese dediderunt, et iis, qui
aut valitudinis imbecillitate aut aliqua graviore causa impediti a re publica
recesserunt, cum eius administrandae potestatem aliis laudemque concederent.
Quibus autem talis nulla sit causa, si despicere se dicant ea, quae plerique
mirentur, imperia et magistratus, iis non modo non laudi, verum etiam vitio
dandum puto. Quorum iudicium in eo, quod gloriam contemnant et pro nihilo
putent, difficile factu est non probare, sed videntur labores et molestias, tum
offensionum et repulsarum quasi quandam ignominiam timere et infamiam. Sunt enim
qui in rebus contrariis parum sibi constent, voluptatem severissime contemnant,
in dolore sint molliores, gloriam neglegant, frangantur infamia atque ea quidem
non satis constanter.
Aber diejenigen, die von Natur aus die erforderlichen Eigenschaften für die politische Tätigkeit
haben, müssen sich, wenn sie alles Zögern abgelegt haben, um politische Ämter bewerben und den Staat
lenken; denn anders kann eine Bürgerschaft nicht geleitet und Großmut nicht bewiesen werden. Diejenigen
aber, welche die politische Laufbahn einschlagen, müssen ebenso wie die Philosophen, vielleicht sogar
noch mehr, die oft genannte Hochherzigkeit und Verachtung äußerlicher Werte aufbringen sowie Seelenruhe
und Gelassenheit, insofern sie nicht besorgt sein, sondern mit Würde und Charakterfestigkeit leben
wollen.
Sed iis qui habent a natura adiumenta rerum gerendarum,
abiecta omni cunctatione adipiscendi magistratus et gerenda res publica est; nec
enim aliter aut regi civitas aut declarari animi magnitudo potest. Capessentibus
autem rem publicam nihilominus quam philosophis, haud scio an magis etiam, et
magnificentia et despicientia adhibenda est rerum humanarum, quam saepe dico, et
tranquillitas animi atque securitas, si quidem nec anxii futuri sunt et cum
gravitate constantiaque victuri.
Dieses ist für die Philosophen umso leichter, je weniger Blößen sich in ihrem Leben bieten, die das
Schicksal treffen könnte und je weniger Güter sie bedürfen und weil sie, falls sich irgendein Unglück
ereignet, nicht so schwer fallen können. Darum entstehen größere seelische Erregungen bei denen, die den
Staat lenken, als bei den in Muße Lebenden. Umso mehr müssen diese Großmut und das Freisein von Ängsten
aufbringen. Wer sich aber dem Staatsdienst widmet, soll darauf sehen, dass er nicht nur bedenkt, wie
rühmlich jene Tätigkeit ist, sondern dass er auch eine Möglichkeit zur Verwirklichung hat; hierbei muss
er darauf bedacht sein, dass er nicht aus Mangel an Energie ohne Grund verzweifelt oder sich aus Ehrgeiz
zu viel zutraut. Bei allen Tätigkeiten aber muss, bevor man beginnt, eine gewissenhafte Vorbereitung
hinzugezogen werden.
Quae faciliora sunt philosophis, quo minus multa patent
in eorum vita, quae fortuna feriat, et quo minus multis rebus egent, et quia si
quid adversi eveniat, tam graviter cadere non possunt. Quocirca non sine causa
maiores motus animorum concitantur maioraque studia efficiendi rem publicam
gerentibus quam quietis, quo magis iis et magnitudo est animi adhibenda et
vacuitas ab angoribus. Ad rem gerendam autem qui accedit, caveat, ne id modo
consideret, quam illa res honesta sit, sed etiam ut habeat efficiendi
facultatem; in quo ipso considerandum est, ne aut temere desperet propter
ignaviam aut nimis confidat propter cupiditatem. In omnibus autem negotiis
priusquam adgrediare, adhibenda est praeparatio diligens.
Aber da die meisten meinen, Leistungen im Kriege seien bedeutender als Leistungen im Frieden, muss
dieser Meinung entgegengetreten werden. Denn viele suchten oft Kriege wegen des Verlangens nach Ruhm,
und eine solche Handlungsweise kommt meistens bei Männern von großen Geistesgaben und Talenten, und das
um so mehr, wenn sie für das Kriegswesen geeignet sind und begierig, Kriege zu führen; aber wenn wir
wahrheitsgemäß urteilen wollen, so haben sich viele Leistungen im Frieden als bedeutsamer erwiesen denn
Leistungen im Kriege.
Sed cum plerique arbitrentur res bellicas maiores esse
quam urbanas, minuenda est haec opinio. Multi enim bella saepe quaesiverunt
propter gloriae cupiditatem, atque id in magnis animis ingeniisque plerumque
contingit, eoque magis, si sunt ad rem militarem apti et cupidi bellorum
gerendorum; vere autem si volumus iudicare multae res extiterunt urbanae maiores
clarioresque quam bellicae.
Denn wenn auch Themistokles noch so sehr zu Recht gelobt wird, sein Name bekannter ist als der
Solons und Salamis als Zeuge eines sehr berühmten Sieges genannt wird, welcher der staatsmännischen
Einsicht Solons vorzuziehen sei, durch die er die Areopagiten einsetzte, so ist diese letztere Tat als
genauso vortrefflich zu beurteilen wie jene. Denn jene nützte einmal, diese hingegen wird der
Bürgerschaft immer nützen; durch diesen Rat werden die Gesetze der Athener, durch ihn die Einrichtungen
der Vorfahren bewahrt. Und Themistokles kann wohl kaum etwas anführen, wodurch er persönlich dem Areopag
geholfen hätte. Aber jener könnte tatsächlich sagen, Themistokles sei von ihm geholfen worden; der Krieg
wurde nämlich nach der Maßregel desjenigen Senates geführt, der von Solon gegründet worden war.
Quamvis enim Themistocles iure laudetur et sit eius nomen
quam Solonis illustrius citeturque Salamis clarissimae testis victoriae, quae
anteponatur consilio Solonis ei, quo primum constituit Areopagitas, non minus
praeclarum hoc quam illud iudicandum est. Illud enim semel profuit, hoc semper
proderit civitati; hoc consilio leges Atheniensium, hoc maiorum instituta
servantur. Et Themistocles quidem nihil dixerit, in quo ipse Areopagum
adiuverit, at ille vere [a] se adiutum Themistoclem; est enim bellum gestum
consilio senatus eius, qui a Solone erat constitutus.
Dasselbe kann man von Pausanias und Lysander behaupten; obwohl geglaubt wird, dass durch deren Taten
das Reich der Spartaner ausgebreitet worden sei, sind sie dennoch nicht im Geringsten mit den Gesetzen
und der Ordnung Lykurgs zu vergleichen; ja sogar hatten sie aus eben diesen Gründen gehorsamere und
tapferere Heere. Mir jedenfalls schien weder in meiner Jugend M. Scaurus dem C. Marius noch während
meiner politischen Tätigkeit Q. Catulus dem Cn. Pompeius nachzustehen; denn wenig gelten Waffen im
Ausland, wenn nicht zu Hause kluge Einsicht herrscht. Und Africanus, ein einzigartiger Mann und
Feldherr, nützte bei der Zerstörung Numantias dem Staat nicht mehr als zu derselben Zeit der Privatmann
P. Nasica, als er Ti. Gracchus tötete; allerdings gehört diese Tat nicht nur dem Gebiet der Innenpolitik
an - sie berührt auch die Sache des Krieges, da sie mit Brachialgewalt ausgeführt worden ist - aber
dennoch wurde die Tat selbst aufgrund eines innenpolitischen Beschlusses ohne Heer begangen.
Licet eadem de Pausania Lysandroque dicere, quorum rebus
gestis quamquam imperium Lacedaemoniis partum putatur, tamen ne minima quidem ex
parte Lycurgi legibus et disciplinae conferendi sunt; quin etiam ob has ipsas
causas et parentiores habuerunt exercitus et fortiores. Mihi quidem neque pueris
nobis M. Scaurus C. Mario neque, cum versaremur in re publica, Q. Catulus Cn.
Pompeio cedere videbatur; parvi enim sunt foris arma, nisi est consilium domi.
Nec plus Africanus, singularis et vir et imperator in exscindenda Numantia rei
publicae profuit quam eodem tempore P. Nasica privatus, cum Ti. Gracchum
interemit; quamquam haec quidem res non solum ex domestica est ratione--attingit
etiam bellicam, quoniam vi manuque confecta est--sed tamen id ipsum est gestum
consilio urbano sine exercitu.
Jenes bekannte Wort aber ist am besten, gegen das, wie ich höre, Bösewichte und Neider vorgehen:
Weichen sollen die Waffen dem Frieden, der Lorbeerkranz dem Ruhm. Um nämlich die anderen zu übergehen:
Sind nicht, während wir den Staat lenkten, die Waffen dem Frieden gewichen? Denn es gab im Staat niemals
eine schlimmere Gefahr und doch einen tieferen Frieden. So fielen durch unsere Entscheidungen und
Wachsamkeit die Waffen schnell von selbst, nachdem sie aus den Händen der verwegensten Bürger geglitten
waren. Welche Tat also wurde jemals in einem Krieg verrichtet, die so bedeutend war? Welcher Triumph
kann hiermit verglichen werden?
Illud autem optimum est, in quod invadi solere ab
improbis et invidis audio "cedant arma togae concedat laurea laudi". Ut enim
alios omittam, nobis rem publicam gubernantibus nonne togae arma cesserunt?
Neque enim periculum in re publica fuit gravius umquam nec maius otium. Ita
consiliis diligentiaque nostra celeriter de manibus audacissimorum civium
delapsa arma ipsa ceciderunt. Quae res igitur gesta umquam in bello tanta? qui
triumphus conferendus?
Denn es ist mir erlaubt, mein Sohn Marcus, mich vor dir zu rühmen, für den das Erbe meines Ruhmes
und die Nachahmung meiner Taten Bedeutung haben. Mir jedenfalls hat ein Mann, der Kriegsruhm sicherlich
im überfluss hat, Cn. Pompeius, unter vielen Zuhörern das ehrenvolle Zugeständnis gemacht, seinen
dritten Triumph hätte er vergeblich davongetragen, wenn er nicht durch mein Verdienst gegenüber dem
Staat eine Stätte für seinen Triumph gehabt hätte. Es sind also tapfere Leistungen im Frieden nicht
weniger bedeutend als militärische; für jene ersten muss man auch mehr Einsatz und Teilnahme erbringen
als für diese.
Licet enim mihi, M. fili, apud te gloriari, ad quem et
hereditas huius gloriae et factorum imitatio pertinet. Mihi quidem certe vir
abundans bellicis laudibus, Cn. Pompeius, multis audientibus, hoc tribuit, ut
diceret frustra se triumphum tertium deportaturum fuisse, nisi meo in rem
publicam beneficio ubi triumpharet esset habiturus. Sunt igitur domesticae
fortitudines non inferiores militaribus; in quibus plus etiam quam in his operae
studiique ponendum est.
Zwar wird jenes Sittlichgute, das wir aus einer erhabenen und hochherzigen Gesinnung ableiten, durch
die Kräfte des Geistes, nicht durch die des Körpers bewirkt, aber dennoch ist der Körper auszubilden und
in den Zustand zu versetzen, dass er der Einsicht und der Vernunft gehorchen kann, während er
Tätigkeiten ausführt und Strapaze erträgt. Das Sittlichgute aber, das wir untersuchen, beruht ganz auf
der Sorge und Tätigkeit des Verstandes; in dieser Hinsicht erbringen diejenigen, die als Bürger im
Friedenskleid den Staat leiten, keinen geringeren Nutzen als die, welche Krieg führen. Daher wurden nach
deren Empfehlung Kriege oft entweder nicht angefangen oder sie wurden beendet, bisweilen sogar begonnen,
wie auf M. Catos Empfehlung der Dritte Punische Krieg, in dem die Autorität sogar eines Toten Einfluss
besaß.
Omnino illud honestum, quod ex animo excelso magnificoque
quaerimus, animi efficitur, non corporis viribus. Exercendum tamen corpus et ita
afficiendum est, ut oboedire consilio rationique possit in exsequendis negotiis
et in labore tolerando. Honestum autem id, quod exquirimus, totum est positum in
animi cura et cogitatione; in quo non minorem utilitatem afferunt, qui togati
rei publicae praesunt, quam qui bellum gerunt. Itaque eorum consilio saepe aut
non suscepta aut confecta bella sunt, non numquam etiam illata, ut M. Catonis
bellum tertium Punicum, in quo etiam mortui valuit auctoritas.
Daher ist die vernünftige Auseinandersetzung mehr zu erstreben als tapferes Kämpfen, aber wir müssen
uns hüten, dass wir dieses nicht eher aus Angst vor dem Krieg als infolge der Berechnung des
öffentlichen Nutzens tun. Den Krieg aber soll man in der Weise auf sich nehmen, dass scheinbar nichts
anderes als Frieden gesucht worden ist. Es ist aber Zeichen einer tapferen und standhaften Gesinnung,
sich nicht in schwieriger Lage verwirren zu lassen und bestürzt den Kopf zu verlieren, wie man sagt,
sondern Geistesgegenwart und Überlegung zu zeigen und sich nicht von der Vernunft zu entfernen.
Qua re expetenda quidem magis est decernendi ratio quam
decertandi fortitudo, sed cavendum, ne id bellandi magis fuga quam utilitatis
ratione faciamus. Bellum autem ita suscipiatur, ut nihil aliud nisi pax quaesita
videatur. Fortis vero animi et constantis est non perturbari in rebus asperis
nec tumultuantem de gradu deici, ut dicitur, sed praesenti animo uti et consilio
nec a ratione discedere.
Jedoch kennzeichnet dieses eine erhabene Haltung, jenes sogar eine große Intelligenz, die Zukunft in
Gedanken vorwegzunehmen und bedeutend früher festzustellen, was nach beiden Richtungen hin geschehen
kann und was getan werden muss, wenn sich etwas ereignet hat, und es nicht dazu kommen zu lassen, dass
irgendwann gesagt werden muss: 'Ich hätte es nicht geglaubt'. Dieses sind die Leistungen einer großen
und erhabenen Gesinnung, die sich auf Klugheit und Einsicht verlässt; sich aber blindlings in den Kampf
zu stürzen und im Handgemenge mit dem Feind zu kämpfen ist etwas Unmenschliches und den Tieren ähnlich;
aber wenn Umstände und Lage es erfordern, ist mit der Hand um die Entscheidung zu kämpfen und der Tod
Knechtschaft und Schande vorzuziehen.
Quamquam hoc animi, illud etiam ingenii magni est,
praecipere cogitatione futura et aliquanto ante constituere, quid accidere
possit in utramque partem et quid agendum sit, cum quid evenerit, nec
committere, ut aliquando dicendum sit "non putaram". Haec sunt opera magni animi
et excelsi et prudentia consilioque fidentis; temere autem in acie versari et
manu cum hoste confligere immane quiddam et beluarum simile est; sed cum tempus
necessitasque postulat, decertandum manu est et mors servituti turpitudinique
anteponenda.
[Aber hinsichtlich der Zerstörung und Plünderung von Städten muss man genau überlegen, damit nichts
leichtfertig, damit nichts grausam geschieht. Und dieses zeichnet einen großen Mann aus, in stürmischen
Zeiten die Übeltäter zu bestrafen, die Menge zu bewahren und in jeder Lebenslage das Rechte und
Ehrenvolle beizubehalten.] Wie es nämlich welche gibt, wie ich oben gesagt habe, die den Leistungen im
Frieden die Leistungen im Kriege vorziehen, so findet man viele, denen gefährliche und übereilte Pläne
prächtiger und größer als ruhige und überdachte zu sein scheinen.
[De evertendis autem diripiendisque urbibus valde
considerandum est, ne quid temere, ne quid crudeliter. Idque est viri magni
rebus agitatis punire sontes, multitudinem conservare, in omni fortuna recta
atque honesta retinere.] Ut enim sunt, quemadmodum supra dixi, qui urbanis rebus
bellicas anteponant, sic reperias multos, quibus periculosa et calida consilia
quietis et cogitatis splendidiora et maiora videantur.
Niemals allerdings darf man es durch Flucht vor einer Gefahr so weit kommen lassen, dass wir als
feige und furchtsame Menschen angesehen werden, sondern auch jenes ist zu meiden, dass wir uns Gefahren
ohne Grund aussetzen, was das Törichste ist, das es geben kann. Daher muss man, während man sich
Gefahren unterzieht, die Gewohnheit der Ärzte nachahmen, die leicht Erkrankte sanft behandeln, bei
schlimmeren Krankheiten aber gezwungen werden, gefährliche und bedenkliche Heilmethoden anzuwenden.
Daher zeugt es von Wahnsinn, bei ruhigem Wetter einen widrigen Sturm herbeizuwünschen, aber gegen einen
Sturm auf jede Weise Vorkehrungen zu treffen ist ein Zeichen von Weisheit, und zwar um so mehr, wenn man
mehr Nutzen davonträgt, indem man die Schwierigkeiten löst, als Schaden, indem man unentschlossen
bleibt. Gefährlich aber sind Unternehmungen teils für diejenigen, die diese auf sich nehmen, teils für
den Staat. Und ebenso riskieren die einen ihr Leben, andere ihre Ehre und das Wohlwollen ihrer
Mitbürger. Also müssen wir bereitwilliger sein gegenüber Gefahren, die uns betreffen, als gegenüber
solchen, die den Staat angehen, und entschlossener um Ehre und Ruhm als um die übrigen Vorteile kämpfen.
Numquam omnino periculi fuga committendum est, ut
inbelles timidique videamur, sed fugiendum illud etiam, ne offeramus nos
periculis sine causa, quo esse nihil potest stultius. Quapropter in adeundis
periculis consuetudo imitanda medicorum est, qui leviter aegrotantes leniter
curant, gravioribus autem morbis periculosas curationes et ancipites adhibere
coguntur. Quare in tranquillo tempestatem adversam optare dementis est,
subvenire autem tempestati quavis ratione sapientis, eoque magis, si plus
adipiscare re explicata boni quam addubitata mali. Periculosae autem rerum
actiones partim iis sunt, qui eas suscipiunt, partim rei publicae.
Viele aber wurden gefunden, die bereit waren, nicht nur ihr Geld, sondern auch ihr Leben für das
Vaterland preiszugeben, und doch nicht einmal die geringste Einbuße an Ruhm erleiden wollten, wie z.B.
Callicratidas, der, als er Anführer der Spartaner im Peleponnesischen Krieg gewesen war und vieles
vorzüglich getan hatte, zuletzt alles über den Haufen warf, indem er dem Rat derer nicht gehorchte, die
glaubten, dass die Flotte von den Arginusen abgezogen werden müsse und man nicht mit den Athenern
kämpfen dürfe. Ihnen antwortete jener, die Spartaner könnten, wenn sie jene Flotte verloren hätten, eine
andere erwerben, er aber könne nicht ohne persönliche Schande fliehen. Und dieses war zwar für die
Spartaner ein noch erträglicher, jenes hingegen ein unheilvoller Schlag, bei dem, als Cleombrotus aus
Furcht vor übler Nachrede unbesonnen gegen Epaminondas gekämpft hatte, die Macht der Spartaner
zusammenbrach. Wie viel besser agierte Q. Maximus, von dem Ennius gesagt hat: Ein einziger Mann stellte
für uns durch sein Zögern den Staat wieder her. Denn er setzte nicht das bösartige Geschwätz über das
Wohlergehen des Staates. Also glänzt nun, je später desto mehr, der Ruhm des Mannes. Diese Art verkehrt
zu handeln ist auch bei Friedensgeschäften zu vermeiden. Es gibt nämlich viele, die ihre Gedanken, auch
wenn sie sehr gut sind, dennoch aus Furcht vor Anfeindung nicht zu äußern wagen.
Itemque alii de vita, alii de gloria et benivolentia
civium in discrimen vocantur. Promptiores igitur debemus esse ad nostra pericula
quam ad communia dimicareque paratius de honore et gloria quam de ceteris
commodis. Inventi autem multi sunt, qui non modo pecuniam, sed etiam vitam
profundere pro patria parati essent, idem gloriae iacturam ne minimam quidem
facere vellent, ne re publica quidem postulante, ut Callicratidas, qui, cum
Lacedaemoniorum dux fuisset Peloponnesiaco bello multaque fecisset egregie,
vertit ad extremum omnia, cum consilio non paruit eorum, qui classem ab
Arginusis removendam nec cum Atheniensibus dimicandum putabant. Quibus ille
respondit Lacedaemonios classe illa amissa aliam parare posse, se fugere sine
suo dedecore non posse. Atque haec quidem Lacedaemoniis plaga mediocris, illa
pestifera, qua, cum Cleombrotus invidiam timens temere cum Epaminonda
conflixisset, Lacedaemoniorum opes corruerunt. Quanto Q. Maximus melius! de quo
Ennius:
Unus homo nobis cunctando restituit rem.
Noenum rumores ponebat ante salutem.
Ergo postque magisque viri nunc gloria claret.
Quod genus peccandi vitandum est etiam in rebus urbanis.
Sunt enim qui quod sentiunt, etsi optimum sit, tamen invidiae metu non audeant
dicere.
überhaupt sollen die Staatslenker zwei Weisungen Platons beachten: die eine, dass sie den Nutzen der
Bürger so wahren mögen, dass sie alles, was sie tun, auf diesen beziehen und ihre Vorteile vergessen,
die andere, dass sie für den ganzen Staatskörper sorgen sollen, damit sie nicht, während sie irgendeinen
Teil schützen, die übrigen preisgeben. Wie nämlich eine Vormundschaft, so ist die Verwaltung des Staates
zum Nutzen derer auszuüben, die anvertraut sind, nicht zum Nutzen derer, denen er anvertraut ist.
Diejenigen aber, die nur für einen Teil der Bürger sorgen, vernachlässigen den anderen und bringen etwas
sehr Gefährliches in die Bürgerschaft hinein, Aufruhr und Zwietracht; daher geschieht es, dass die einen
sich als Popularen, die anderen als Anhänger der Aristokraten und wenige als Vertreter der Gesamtheit
zeigen.
Omnino qui rei publicae praefuturi sunt duo Platonis
praecepta teneant: unum, ut utilitatem civium sic tueantur, ut quaecumque agunt,
ad eam referant obliti commodorum suorum, alterum, ut totum corpus rei publicae
curent, ne, dum partem aliquam tuentur, reliquas deserant. Ut enim tutela, sic
procuratio rei publicae ad eorum utilitatem, qui commissi sunt, non ad eorum,
quibus commissa est, gerenda est. Qui autem parti civium consulunt, partem
neglegunt, rem perniciosissimam in civitatem inducunt, seditionem atque
discordiam; ex quo evenit, ut alii populares, alii studiosi optimi cuiusque
videantur, pauci universorum.
Hierdurch entstanden bei den Athenern schlimme Streitigkeiten, in unserem Staat nicht nur
Zerwürfnisse, sondern auch unheilvolle Bürgerkriege; diese Fehler wird ein besonnener und tatkräftiger
Bürger und ein solcher, der im Staat der höchsten Stelle würdig ist, meiden und hassen, er wird sich
ganz dem Staat widmen, ohne nach Macht und Einfluss zu streben, und er wird diesen ganz so in Obhut
nehmen, dass er für alle sorgt. Nicht aber wird er gegen jemanden unter falschen Vorwürfen Hass und
Missgunst schüren, und er wird ganz und gar an Gerechtigkeit und Sittlichkeit so festhalten, dass er,
wenn er nur diese bewahren kann, sogar den größten Anstoß erregt und lieber den Tod sucht als jene
genannten Tugenden aufgibt.
Hinc apud Athenienses magnae discordiae, in nostra re
publica non solum seditiones, sed etiam pestifera bella civilia; quae gravis et
fortis civis et in re publica dignus principatu fugiet atque oderit tradetque se
totum rei publicae neque opes aut potentiam consectabitur totamque eam sic
tuebitur, ut omnibus consulat. Nec vero criminibus falsis in odium aut invidiam
quemquam vocabit omninoque ita iustitiae honestatique adhaerescet, ut, dum ea
conservet, quamvis graviter offendat mortemque oppetat potius, quam deserat
illa, quae dixi.
Am erbärmlichsten sind in jeder Hinsicht Amtserschleichung und der Wettstreit um Ehrenstellen,
worüber trefflich ebenfalls bei Platon geschrieben steht, 'dass diejenigen, die untereinander
wetteifern, wer von beiden den Staat eher verwalten solle, ähnlich handeln, wie wenn Seeleute streiten,
wer von ihnen hauptsächlich das Steuerruder führen solle'. Derselbe schreibt vor, dass wir diejenigen
für Feinde halten sollen, die Waffen gegen den Staat richten, nicht aber die, welche nach ihrer
überzeugung den Staat schützen wollen, ein Streit, wie es ihn zwischen P. Africanus und Q. Metellus ohne
Bitterkeit gegeben hat.
Miserrima omnino est ambitio honorumque contentio, de qua
praeclare apud eundem est Platonem "similiter facere eos, qui inter se
contenderent, uter potius rem publicam administraret, ut si nautae certarent,
quis eorum potissimum gubernaret". Idemque praecipit, "ut eos adversarios
existimemus, qui arma contra ferant, non eos, qui suo iudicio tueri rem publicam
velint", qualis fuit inter P. Africanum et Q. Metellum sine acerbitate
dissensio.
Nicht aber darf man auf diejenigen hören, die der Ansicht sein werden, Feinden müsse man heftig
zürnen, und meinen, dieses zeichne einen großmütigen und tapferen Mann aus; denn nichts ist
lobenswerter, nichts eines großen und trefflichen Mannes würdiger als Versöhnlichkeit und Milde. In
freien Völkern aber und bei Gleichberechtigung aller sind auch Umgänglichkeit und so genannte
Selbstbeherrschung auszuüben, damit wir nicht, falls wir entweder denen zürnen, die sich zur Unzeit
einmischen, oder denen, die unverschämt bitten, einer unnützen und widerwärtigen schlechten Laune
verfallen. Und dennoch sind Milde und Nachsicht nur so weit zu billigen, dass um des Staates willen
Strenge angewendet wird, ohne die ein Gemeinwesen nicht geleitet werden kann. Jede Strafe und
Zurechtweisung aber müssen frei von Beleidigung sein und dürfen sich nicht auf den Nutzen desjenigen
beziehen, der jemanden bestraft oder mit Worten züchtigt, sondern auf den Nutzen des Staates.
Nec vero audiendi qui graviter inimicis irascendum
putabunt idque magnanimi et fortis viri esse censebunt; nihil enim laudabilius,
nihil magno et praeclaro viro dignius placabilitate atque clementia. In liberis
vero populis et in iuris aequabilitate exercenda etiam est facilitas et altitudo
animi quae dicitur, ne si irascamur aut intempestive accedentibus aut impudenter
rogantibus in morositatem inutilem et odiosam incidamus et tamen ita probanda
est mansuetudo atque clementia, ut adhibeatur rei publicae causa severitas, sine
qua administrari civitas non potest. omnis autem et animadversio et castigatio
contumelia vacare debet neque ad eius, qui punitur aliquem aut verbis castigat,
sed ad rei publicae utilitatem referri.
Auch muss man sich davor hüten, dass die Strafe größer ist als die Schuld und aus denselben Gründen
die einen gestraft, die anderen nicht einmal zur Rede gestellt werden. Am meisten aber ist der Zorn beim
Strafen fern zu halten; niemals nämlich wird derjenige, der sich im Zorn mit einer Strafe beschäftigt,
jenen Mittelweg einhalten, der zwischen einem Zuviel und einem Zuwenig liegt, der von den
Peripathetikern für gut befunden wird und das zu Recht, wenn sie nur nicht den Jähzorn lobten und
sagten, er sei auf nützliche Weise von der Natur gegeben worden. Jener muss wahrlich in allen
Situationen abgelehnt werden, und es ist zu wünschen, dass die Lenker des Staates den Gesetzen ähnlich
sind, die sich, um zu strafen, nicht vom Jähzorn, sondern von der Gerechtigkeit leiten lassen.
Cavendum est etiam ne maior poena quam culpa sit et ne
isdem de causis alii plectantur, alii ne appellentur quidem. prohibenda autem
maxime est ira puniendo; numquam enim iratus qui accedet ad poenam mediocritatem
illam tenebit, quae est inter nimium et parum, quae placet Peripateticis et
recte placet, modo ne laudarent iracundiam et dicerent utiliter a natura datam.
Illa vero omnibus in rebus repudianda est optandumque, ut ii, qui praesunt rei
publicae, legum similes sint, quae ad puniendum non iracundia, sed aequitate
ducuntur.
Und auch im Glück, da alles nach unseren Wünschen läuft, wollen wir ganz besonders Übermut,
Geringschätzung und Anmaßung meiden. Denn es zeugt von Haltlosigkeit, wie das Unglück so auch das Glück
unbeherrscht zu ertragen, und vortrefflich sind in jeder Lebenslage Ausgeglichenheit, eine
unveränderliche Miene und derselbe Gesichtsausdruck, wie wir es von Sokrates und ebenso von C. Laelius
gehört haben. Dass Philippus, der König der Makedonen, an Taten und Ruhm von seinem Sohn übertroffen
worden ist, an Umgänglichkeit und Menschlichkeit ihm aber überlegen war, weiß ich. Daher erscheint der
eine immer bedeutend, der andere oft ganz abscheulich, so dass diejenigen offenbar recht lehren, die
mahnen, dass wir uns, je überlegener wir sind, umso bescheidener verhalten sollen. Panaitios behauptet,
sein Schüler und Freund Africanus habe gewöhnlich gesagt, 'wie sie Pferde, die wegen häufigen
Kampfgetümmels durch Zügellosigkeit übermütig geworden seien, Bündigern zu überstellen pflegten, um
diese müheloser gebrauchen zu können, so müssten Menschen, die ob ihres Glücks zügellos seien und sich
zu sehr vertrauten, gleichsam an der Longe der Vernunft und der Unterweisung gehen, damit sie die
Schwäche der menschlichen Verhältnisse und die Wechselfülle des Schicksals erkennen.'
Atque etiam in rebus prosperis et ad voluntatem nostram
fluentibus superbiam magnopere, fastidium arrogantiamque fugiamus. nam ut
adversas res, sic secundas inmoderate ferre levitatis est praeclaraque est
aequabilitas in omni vita et idem semper vultus eademque frons, ut de Socrate
itemque de C. Laelio accepimus. Philippum quidem Macedonum regem rebus gestis et
gloria superatum a filio, facilitate et humanitate video superiorem fuisse.
Itaque alter semper magnus, alter saepe turpissimus, ut recte praecipere
videantur, qui monent, ut, quanto superiores simus, tanto nos geramus
summissius. Panaetius quidem Africanum auditorem et familiarem suum solitum ait
dicere, "ut equos propter crebras contentiones proeliorum ferocitate exultantes
domitoribus tradere soleant, ut iis facilioribus possint uti, sic homines
secundis rebus effrenatos sibique praefidentes tamquam in gyrum rationis et
doctrinae duci oportere, ut perspicerent rerum humanarum imbecillitatem
varietatemque fortunae".
Und in den glücklichsten Situationen ist besonders der Rat von Freunden zu gebrauchen, und ihnen
muss noch größere Geltung zukommen als vorher. Und in einer solchen Lage müssen wir uns auch davor
hüten, dass wir Schmeichlern unsere Ohren öffnen und zulassen, dass sie vor uns kriechen, wodurch man
leicht der Selbsttäuschung verfällt. Denn wir halten uns für solche Menschen, dass wir zu Recht gelobt
werden; hieraus entstehen unzählige Vergehen, wenn Menschen, aufgeblasen vor Einbildung, schmählich
ausgelacht werden und sich in den größten Irrtümern befinden.
Atque etiam in secundissimis rebus maxime est utendum
consilio amicorum isque maior etiam quam ante tribuenda auctoritas. Isdemque
temporibus cavendum est ne assentatoribus patefaciamus aures neve adulari nos
sinamus, in quo falli facile est. tales enim nos esse putamus, ut iure laudemur;
ex quo nascuntur innumerabilia peccata, cum homines inflati opinionibus turpiter
irridentur et in maximis versantur erroribus.
Doch genug davon. Jenes Urteil aber muss so gelten, dass die größten und edelsten Taten von
denjenigen verrichtet werden, die die Staaten lenken, weil deren Führung das weiteste Anwendungsfeld hat
und die meisten betrifft; dass es aber viele mit einer erhabenen Gesinnung sogar in einem Leben frei von
Staatsgeschäften gibt und gegeben hat, die entweder mit wichtigen Forschungen oder Unternehmungen
beschäftigt waren und sich auf ihren Kreis beschränkten oder in der Mitte zwischen den Philosophen und
den Staatslenkern stehend an der Verwaltung ihrer Habe Freude hatten, wobei sie diese nicht auf jede Art
und Weise vermehrten und ihre Angehörigen nicht von deren Genuss ausschlossen, sondern vielmehr ihren
Freunden und dem Staat davon zuteilten, wenn es einmal nötig war. Diese Habe soll man sich erstens auf
rechte Weise verschafft haben, weder durch schändlichen noch durch anrüchigen Erwerb [dann soll sie
sich für möglichst viele, allerdings nur für Würdige, als nützlich erweisen], zweitens soll sie durch
vernünftigen Gebrauch, Sorgfalt und Sparsamkeit vermehrt werden und nicht so sehr der Begierde und der
Ausschweifung dienen als vielmehr der Freigebigkeit und Wohltätigkeit. Wenn man diese Weisungen
beachtet, ist es möglich, in Größe, würdevoll und beherzt zu leben und sogar einfach, aufrichtig und als
wahrer Menschenfreund.
sed haec quidem hactenus. Illud autem sic est iudicandum,
maximas geri res et maximi animi ab iis, qui res publicas regant, quod earum
administratio latissime pateat ad plurimosque pertineat; esse autem magni animi
et fuisse multos etiam in vita otiosa, qui aut investigarent aut conarentur
magna quaedam seseque suarum rerum finibus continerent aut interiecti inter
philosophos et eos, qui rem publicam administrarent, delectarentur re sua
familiari, non eam quidem omni ratione exaggerantes neque excludentes ab eius
usu suos potiusque et amicis impertientes et rei publicae, si quando usus esset.
quae primum bene parta sit nullo neque turpi quaestu neque odioso, tum quam
plurimis, modo dignis, se utilem praebeat] deinde augeatur ratione, diligentia,
parsimonia [nec libidini potius luxuriaeque quam liberalitati et beneficentiae
pareat. Haec praescripta servantem licet magnifice, graviter animoseque vivere
atque etiam simpliciter, fideliter, + vere hominum amice.
Es ergibt sich, dass über den einzigen noch verbleibenden Bereich der Sittlichkeit gesprochen werden
muss, in dem sich Sittsamkeit und gleichsam eine Art von Ausschmückung des Lebens zeigen, Mäßigung,
Besonnenheit, die völlige Beherrschung der Leidenschaften und ein Maß in allen Dingen. In diesem Bereich
wird das erfasst, was lateinisch das Schickliche genannt werden kann; auf Griechisch nämlich wird es
prepon genannt.
Sequitur ut de una reliqua parte honestatis dicendum sit,
in qua verecundia et quasi quidam ornatus vitae, temperantia et modestia
omnisque sedatio perturbationum animi et rerum modus cernitur. hoc loco
continetur id, quod dici latine decorum potest; Graece enim
prepon
dicitur.
Dessen Wesen beruht darauf, dass es nicht vom Sittlichguten getrennt werden kann; denn was
schicklich ist, ist sittlich gut, und was sittlich gut ist, ist schicklich. Was für ein Unterschied aber
zwischen dem Sittlichen und dem Schicklichen besteht, kann leichter erkannt als erklärt werden. Denn was
auch immer das Schickliche sein mag, es zeigt sich erst dann, wenn die Sittlichkeit vorausgegangen ist.
Daher wird nicht nur in diesem Bereich der Sittlichkeit, der an dieser Stelle erörtert werden muss,
sondern auch in den drei oben besprochenen sichtbar, was schicklich ist. Denn vernünftig zu denken,
sachgemäß zu reden, wohlbedacht zu tun, was man tut, und in jeder Angelegenheit darauf zu achten und
daran festzuhalten, was wahr ist, ist schicklich, und andererseits sich zu täuschen, sich zu irren, zu
fehlen und sich hinters Licht führen zu lassen schicken sich ebenso wenig wie verrückt und von Sinnen zu
sein; und alles Gerechte ist schicklich, alles Widerrechtliche hingegen in dem Maße unschicklich, wie es
schändlich ist. ähnlich steht es um die Tapferkeit; denn was mannhaft und mutig getan wird, das ist
offenbar eines Mannes würdig und schicklich, das Gegenteil aber ebenso unschicklich wie schändlich.
Huius vis ea est, ut ab honesto non queat separari; nam
et quod decet honestum est et quod honestum est decet. qualis autem differentia
sit honesti et decori, facilius intellegi quam explanari potest. quicquid est
enim, quod deceat, id tum apparet, cum antegressa est honestas. Itaque non solum
in hac parte honestatis, de qua hoc loco disserendum est, sed etiam in tribus
superioribus quid deceat apparet. Nam et ratione uti atque oratione prudenter et
agere quod agas considerate omnique in re quid sit veri videre et tueri decet,
contraque falli, errare, labi, decipi tam dedecet quam delirare et mente esse
captum; et iusta omnia decora sunt, iniusta contra, ut turpia, sic indecora.
Similis est ratio fortitudinis. quod enim viriliter animoque magno fit, id
dignum viro et decorum videtur, quod contra, id ut turpe sic indecorum.
Deshalb gehört dieses Schickliche, wie ich es nenne, zum ganzen Wesen der Sittlichkeit, und zwar so,
dass es nicht durch tieferes philosophisches Denken erkennbar ist, sondern auf der Hand liegt. Denn es
gibt ein gewisses Etwas, das sich geziemt, und dieses wird in jeder Tugend erkannt; dieses kann eher
theoretisch von der Tugend getrennt werden als praktisch. Wie die Anmut und die Schönheit des Körpers
sich nicht von der Gesundheit trennen lassen, so ist dieses Schickliche, über das wir sprechen, zwar
ganz mit der Tugend verschmolzen, aber es ist durch den denkenden Verstand unterscheidbar.
Quare pertinet quidem ad omnem honestatem hoc, quod dico,
decorum, et ita pertinet, ut non recondita quadam ratione cernatur, sed sit in
promptu. est enim quiddam, idque intellegitur in omni virtute, quod deceat; quod
cogitatione magis a virtute potest quam re separari. ut venustas et pulchritudo
corporis secerni non potest a valitudine, sic hoc, de quo loquimur, decorum
totum illud quidem est cum virtute confusum, sed mente et cogitatione
distinguitur.
Es gibt aber eine zweifache Definition des Schicklichen; denn wir erkennen, dass das Schickliche
etwas Allgemeines ist, das sich in jeder Form der Sittlichkeit findet, und dass es speziell etwas diesem
Untergeordnetes ist, das sich auf die einzelnen Teile der Sittlichkeit bezieht. Nun wird jenes
Erstgenannte gewöhnlich ungefähr so definiert, das Schickliche sei das, was in Einklang steht mit der
überragenden Stellung des Menschen, insofern sich seine Natur von den übrigen Lebewesen unterscheidet.
Den Teil aber, der dem Allgemeinen untergeordnet ist, definieren sie so, dass sie bestimmen, das
Schickliche sei das, was so mit der Natur in Einklang stehe, dass sich in ihm Mäßigung und
Selbstbeherrschung zeigen gewissermaßen mit dem eines freien Mannes würdigen Erscheinungsbild.
Est autem eius discriptio duplex; nam et generale quoddam
decorum intellegimus, quod in omni honestate versatur, et aliud huic subiectum,
quod pertinet ad singulas partes honestatis. Atque illud superius sic fere
definiri solet, decorum id esse, quod consentaneum sit hominis excellentiae in
eo, in quo natura eius a reliquis animantibus differat. quae autem pars subiecta
generi est, eam sic definiunt, ut id decorum velint esse, quod ita naturae
consentaneum sit, ut in eo moderatio et temperantia appareat cum specie quadam
liberali.
Die Richtigkeit dieser Erklärung können wir nach dem Begriff des Anstandes beurteilen, den die
Dichter anstreben, worüber an anderer Stelle gewöhnlich mehr gesagt wird. Jedenfalls sagen wir, dass die
Dichter jenes, was sich ziemt, dann beachten, wenn das, was jedes einzelnen Charakters würdig ist, getan
und gesagt wird, so dass, falls Aeacus oder Minos sagten 'Mögen sie mich hassen, wenn sie mich nur
fürchten' oder 'Den Kindern bereitet der Vater selbst das Grab', dieses unschicklich erscheinen würde,
weil wir gehört haben, dass diese gerecht gewesen waren; aber wenn Atreus es sagt, wird Beifall
hervorgerufen, denn die Worte sind seines Charakters würdig. Aber die Dichter werden nach dem Charakter
beurteilen, was für jeden schicklich ist, uns aber hat die Natur selbst eine Rolle zugewiesen mit einer
großen Vortrefflichkeit und einem großen Vorzug vor den übrigen Lebewesen.
Haec ita intellegi, possumus existimare ex eo decoro,
quod poetae sequuntur, de quo alio loco plura dici solent. Sed tum servare illud
poetas, quod deceat, dicimus, cum id quod quaque persona dignum est, et fit et
dicitur, ut si Aeacus aut Minos diceret:
oderint, dum metuant,
aut:
natis sepulchro ipse est parens,
indecorum videretur,
quod eos fuisse iustos accepimus; at Atreo dicente plausus excitantur, est enim
digna persona oratio; sed poetae quid quemque deceat, ex persona iudicabunt;
nobis autem personam imposuit ipsa natura magna cum excellentia praestantiaque
animantium reliquarum.
Bei der großen Vielfalt der Charaktere werden die Dichter darauf achten, was sich sogar für die
Lasterhaften schickt und was sich für sie ziemt; weil uns aber von der Natur die Aufgabe der
Standhaftigkeit, der Selbstbeherrschung, der Mäßigung und Zurückhaltung gegeben worden ist und weil
dieselbe Natur uns lehrt, nicht zu vernachlässigen, wie wir uns gegenüber Menschen verhalten sollen,
deswegen wird Klarheit darüber hergestellt, wie weit jenes Schickliche reicht, das sich auf die gesamte
Sittlichkeit bezieht, und dieses, das in jeder einzelnen Art von Tugend erblickt wird. Denn wie die
Schönheit des Körpers durch eine passende Anordnung der Glieder die Augen auf sich zieht und eben
dadurch erfreut, dass alle Teile untereinander mit einer gewissen Anmut harmonisieren, so verursacht
dieses Schickliche, das in der Lebensführung sichtbar hervortritt, den Beifall derer, mit denen man
zusammenlebt, durch die Ordnung, Beständigkeit und Mäßigung in allen Worten und Taten.
Quocirca poetae in magna varietate personarum etiam
vitiosis quid conveniat et quid deceat videbunt, nobis autem cum a natura
constantiae, moderationis, temperantiae, verecundiae partes datae sint cumque
eadem natura doceat non neglegere, quemadmodum nos adversus homines geramus,
efficitur ut et illud, quod ad omnem honestatem pertinet, decorum quam late
fusum sit appareat et hoc, quod spectatur in uno quoque genere virtutis. Ut enim
pulchritudo corporis apta compositione membrorum movet oculos et delectat hoc
ipso, quod inter se omnes partes cum quodam lepore consentiunt, sic hoc decorum,
quod elucet in vita, movet approbationem eorum, quibuscum vivitur, ordine et
constantia et moderatione dictorum omnium atque factorum.
Beachtet werden muss also eine gewisse Ehrerbietung gegenüber den Menschen, sowohl gegenüber allen
Guten als auch den übrigen. Denn zu ignorieren, was jeder über einen denkt, verrät nicht nur einen
anmaßenden, sondern auch einen ganz und gar leichtfertigen Menschen. Es gibt aber im Hinblick auf die
Menschen einen Unterschied zwischen Gerechtigkeit und Ehrerbietung. Die Pflicht der Gerechtigkeit
besteht darin, Menschen keine Gewalt anzutun, die Pflicht der Ehrerbietung, sie nicht zu kränken, worin
besonders die Bedeutung des Schicklichen erkannt wird. Da dieses also dargelegt worden ist, glaube ich,
dass erkannt ist, von welcher Art das so genannte Schickliche ist.
adhibenda est igitur quaedam reverentia adversus homines
et optimi cuiusque et reliquorum. nam neglegere quid de se quisque sentiat, non
solum arrogantis est sed etiam omnino dissoluti. est autem quod differat in
hominum ratione habenda inter iustitiam et verecundiam. Iustitiae partes sunt
non violare homines, verecundiae non offendere, in quo maxime vis perspicitur
decori. His igitur eitis quale sit id, quod decere dicimus, intellectum puto.
Das pflichtgemäße Handeln aber, das sich vom Schicklichen leiten lässt, muss in erster Linie den Weg
gehen, der zur Wahrung der Übereinstimmung mit der Natur führt; wenn wir dieser als Führerin folgen,
werden wir niemals in die Irre gehen, sondern erstens das erreichen, was von Natur aus scharfsinnig und
einsichtsvoll ist, zweitens das, was ausgerichtet ist auf die enge Verbindung der Menschen, und drittens
das, was heftig und stark ist. Aber die größte Bedeutung des Schicklichen liegt in dem Bereich, den wir
erörtern; denn nicht nur die Bewegungen des Körpers, so weit sie in Einklang mit der Natur stehen,
sondern viel mehr noch die Bewegungen des Geistes sind gutzuheißen, so weit sie ebenso an die Natur
angepasst sind.
Officium autem, quod ab eo ducitur, hanc primum habet
viam, quae deducit ad convenientiam conservationemque naturae; quam si sequemur
ducem, nunquam aberrabimus sequemurque et id, quod acutum et perspicax natura
est, et id, quod ad hominum consociationem accommodatum, et id, quod vehemens
atque forte. Sed maxima vis decori in hac inest parte, de qua disputamus; neque
enim solum corporis, qui ad naturam apti sunt, sed multo etiam magis animi motus
probandi, qui item ad naturam accommodati sunt.
Zweifach nämlich ist das naturgegebene Vermögen der Seele: Ein Teil beruht auf dem Begehren, was auf
Griechisch orme bedeutet, das den Menschen hierhin und dorthin drängt, der andere Teil beruht auf der
Vernunft, die lehrt und erklärt, was zu tun und was zu meiden ist. [So kommt es, dass die Vernunft die
Lenkung hat, das Begehren gehorcht. Jede Handlung aber muss frei sein von Unbesonnenheit und
Nachlässigkeit, und derjenige, der handelt, darf aber nichts tun, für das er nicht einen glaubhaften
Grund angeben kann; dieses nämlich ist fast eine Definition von Pflicht.]
Duplex est enim vis animorum atque natura; una pars in
appetitu posita est, quae est orme Graece, quae hominem huc et illuc
rapit, altera in ratione, quae docet et explanat, quid faciendum fugiendumque
sit. Ita fit, ut ratio praesit, appetitus obtemperet. Omnis autem actio vacare
debet temeritate et neglegentia nec vero agere quicquam, cuius non possit causam
probabilem reddere; haec est enim fere discriptio officii.
Es ist aber zu bewirken, dass die Triebe der Vernunft gehorchen und ihr weder zuvorkommen noch sie
aus Trägheit und Untüchtigkeit im Stich lassen, sondern dass sie ruhig sind und frei von jeder geistigen
Verwirrung; hieraus werden in vollem Umfang Beständigkeit und Mäßigung zutage treten. Denn diejenigen
Triebe, die weiter um sich greifen und gleichsam übermütig infolge ihres Verlangens oder ihrer Flucht
nicht hinreichend von der Vernunft in Schranken gehalten werden, überschreiten ohne Zweifel Maß und
Ziel. Denn sie vernachlässigen und verwerfen den Gehorsam und gehorchen nicht der Vernunft, der sie
durch das Gesetz der Natur unterworfen sind; von ihnen wird nicht nur der Geist in Unruhe versetzt,
sondern auch die Körper. Dieses kann man schon an den Gesichtern der Zornigen oder derjenigen erkennen,
die entweder durch irgendeine Leidenschaft oder Furcht beunruhigt sind oder sich aus allzu starker
Freude zügellos gebärden; die Mienen, Stimmen, Bewegungen und Haltungen all dieser verändern sich.
Efficiendum autem est, ut appetitus rationi oboediant
eamque neque praecurrant nec propter pigritiam aut ignaviam deserant sintque
tranquilli atque omni animi perturbatione careant; ex quo elucebit omnis
constantia omnisque moderatio. nam qui appetitus longius evagantur et tamquam
exultantes sive cupiendo sive fugiendo non satis a ratione retinentur, ii sine
dubio finem et modum transeunt. relinquunt enim et abiciunt oboedientiam nec
rationi parent, cui sunt subiecti lege naturae; a quibus non modo animi
perturbantur, sed etiam corpora. licet ora ipsa cernere iratorum aut eorum, qui
aut libidine aliqua aut metu commoti sunt aut voluptate nimia gestiunt; quorum
omnium vultus, voces, motus statusque mutantur.
Hieraus ersieht man, um zum Begriff der Pflicht zurückzukehren, dass alle Triebe zu bändigen und zu
beruhigen sind und dass Aufmerksamkeit und Sorgfalt aufgeboten werden müssen, damit wir nichts planlos
und blindlings, unüberlegt und nachlässig tun. Wir sind nämlich von der Natur nicht so erschaffen
worden, dass wir offenbar für das Spiel und den Spaß entstanden sind, sondern vielmehr für den Ernst und
für einige gewichtigere und bedeutendere Beschäftigungen. Jenes Spiel und jenen Scherz zu gebrauchen ist
zwar möglich, aber so wie den Schlaf und die übrigen Arten der Ruhe immer dann, wenn wir den gewichtigen
und ernsten Aufgaben Genüge getan haben. Und die Art des Scherzens selbst darf nicht ausgelassen und
zügellos, sondern muss anständig und witzig sein. Denn wie wir den Kindern nicht eine unbegrenzte
Freiheit zu spielen geben, sondern diejenige, die mit anständigem Betragen in Einklang steht, so soll
selbst im Scherz ein Funke edler Gesinnung sichtbar hervortreten.
Ex quibus illud intellegitur, ut ad officii formam
revertamur, appetitus omnes contrahendos sedandosque esse excitandamque
animadversionem et diligentiam, ut ne quid temere ac fortuito, inconsiderate
neglegenterque agamus. neque enim ita generati a natura sumus, ut ad ludum et
iocum facti esse videamur, ad severitatem potius et ad quaedam studia graviora
atque maiora. ludo autem et ioco uti illo quidem licet, sed sicut somno et
quietibus ceteris tum, cum gravibus seriisque rebus satis fecerimus. ipsumque
genus iocandi non profusum nec immodestum, sed ingenuum et facetum esse debet.
ut enim pueris non omnem ludendi licentiam damus, sed eam, quae ab honestatis
actionibus non sit aliena, sic in ipso ioco aliquod probi ingenii lumen eluceat.
Im Ganzen gibt es eine doppelte Art des Scherzens: Die eine ist eines Freien unwürdig, frivol,
schändlich, unanständig, die andere ist gewählt, geschmackvoll, geistreich und humorvoll, eine Art, von
der nicht nur unser Plautus und die alte Komödie der Attiker, sondern auch die Bücher der sokratischen
Philosophie gefüllt sind, und es sind viele humorvolle Worte von vielen vorhanden, die vom alten Cato
gesammelt worden sind, die apophthegmata (Apophthegmata) genannt werden. Leicht also ist die
Unterscheidung des anständigen und eines Freien würdigen Scherzes. Der eine ist, wenn er zur rechten
Zeit geschieht, wie z.B. zur Zeit geistiger Entspannung, eines sehr bedeutenden Menschen würdig, der
andere nicht einmal eines Freien, falls ein schändlicher Inhalt oder unanständige Ausdrücke hinzukommen.
Auch muss beim Spiel ein gewisses Maß beibehalten werden, damit wir nicht zu sehr alles übertreiben und
durch ausgelassenes Vergnügtsein irgendeiner Schande verfallen. Es liefern aber unser Marsfeld und die
Beschäftigungen mit der Jagd ehrbare Vorbilder des Spieles.
Duplex omnino est iocandi genus, unum illiberale,
petulans, flagitiosum, obscenum, alterum elegans, urbanum, ingeniosum, facetum,
quo genere non modo Plautus noster et Atticorum antiqua comoedia, sed etiam
philosophorum Socraticorum libri referti sunt, multaque multorum facete dicta,
ut ea, quae a sene Catone collecta sunt, quae vocantur apophthegmata.
Facilis igitur est distinctio ingenui et illiberalis ioci. alter est, si tempore
fit, ut si remisso animo, [severissimo] homine dignus, alter ne libero quidem,
si rerum turpitudo adhibetur et verborum obscenitas. Ludendi etiam est quidam
modus retinendus, ut ne nimis omnia profundamus elatique voluptate in aliquam
turpitudinem delabamur. Suppeditant autem et campus noster et studia venandi
honesta exempla ludendi.
Aber es gehört zu jeder Untersuchung über die Pflicht, vor Augen zu haben, wie weit die Natur des
Menschen das Vieh und die übrigen Tiere übertrifft; jene empfinden nichts außer Lust und werfen sich mit
ganzer Kraft auf sie, der Verstand des Menschen aber wird genährt durch Lernen und Denken, immer
erforscht oder tut er irgendetwas und lässt sich leiten durch den Genuss des Sehens und Hörens. Ja
sogar, falls jemand ein wenig stärker der Lust zugeneigt ist, wenn er nur nicht nach der Art des Viehs
ist - denn einige sind Menschen nicht der Sache, sondern nur dem Namen nach -, falls also jemand auf
einer etwas höheren Stufe steht, verbirgt und verheimlicht er, auch wenn er sich von der Lust hinreißen
lässt, den Hang zur Lust aus natürlichem Anstandsgefühl.
Sed pertinet ad omnem officii quaestionem semper in
promptu habere, quantum natura hominis pecudibus reliquisque beluis antecedat;
illae nihil sentiunt nisi voluptatem ad eamque feruntur omni impetu, hominis
autem mens discendo alitur et cogitando, semper aliquid aut anquirit aut agit
videndique et audiendi delectatione ducitur. quin etiam, si quis est paulo ad
voluptates propensior, modo ne sit ex pecudum genere (sunt enim quidam homines
non re, sed nomine) sed si quis est paulo erectior, quamvis voluptate capiatur,
occultat et dissimulat appetitum voluptatis propter verecundiam.
Hieraus ist erkennbar, dass die körperliche Lust der überlegenen Stellung des Menschen nicht würdig
genug ist und sie verachtet und zurückgewiesen werden muss, dass, wenn es aber irgendeinen gibt, der auf
die Lust einigen Wert legt, dieser bei ihrem Genuss sorgfältig Maß halten muss. Daher sollen sich die
Ernährung und die Pflege des Körpers auf die Gesundheit und die Körperkräfte beziehen, nicht auf die
Lust. Und auch, wenn wir erwägen wollen, was in unserer Natur die überlegene Stellung und Würde
ausmacht, werden wir erkennen, wie schändlich es ist, in Üppigkeit zu verkommen und verzärtelt und
verweichlicht zu leben, und wie ehrenvoll, sparsam, enthaltsam, streng und besonnen zu leben.
Ex quo intellegitur corporis voluptatem non satis esse
dignam hominis praestantia eamque contemni et reici oportere, sin sit quispiam,
qui aliquid tribuat voluptati, diligenter ei tenendum esse eius fruendae modum.
Itaque victus cultusque corporis ad valitudinem referatur et ad vires, non ad
voluptatem. Atque etiam, si considerare volumus, quae sit in natura excellentia
et dignitas, intellegemus, quam sit turpe diffluere luxuria et delicate ac
molliter vivere, quamque honestum parce, continenter, severe, sobrie.
Es muss aber auch erkannt werden, dass wir von der Natur gleichsam mit zwei Rollen ausgestattet
sind; von diesen ist die eine uns allen deshalb gemeinsam, weil wir alle an derjenigen Vernunft und
überlegenen Stellung teilhaben, durch die wir die Tiere übertreffen, von der jedes Sittlichgute und
Schickliche abgeleitet und durch die der Weg gezeigt wird, auf dem die Pflicht zu finden ist, die andere
Rolle aber ist diejenige, die individuell den Einzelnen zugewiesen ist. Wie es nämlich bei den Körpern
große Verschiedenartigkeiten gibt - wir sehen, dass die einen aufgrund ihrer Schnelligkeit für den Lauf
geeignet sind, die anderen aufgrund ihrer Kräfte für das Ringen und ebenso hinsichtlich des äußeren den
einen Würde anhaftet, den anderen Anmut -, so zeigt sich in den Veranlagungen eine noch größere
Mannigfaltigkeit.
Intellegendum etiam est duabus quasi nos a natura
indutos esse personis; quarum una communis est ex eo, quod omnes participes
sumus rationis praestantiaeque eius, qua antecellimus bestiis, a qua omne
honestum decorumque trahitur et ex qua ratio inveniendi officii exquiritur,
altera autem quae proprie singulis est tributa. ut enim in corporibus magnae
dissimilitudines sunt, alios videmus velocitate ad cursum, alios viribus ad
luctandum valere, itemque in formis aliis dignitatem inesse, aliis venustatem,
sic in animis existunt maiores etiam varietates.
L. Crassus und L. Philippus verfügten über viel Humor, über einen noch größeren und mehr
absichtlichen C. Caesar, der Sohn des Lucius; aber zu derselben Zeit zeigten M. Scaurus und der junge M.
Drusus eine einzigartige Strenge, C. Laelius viel Heiterkeit und sein Vertrauter Scipio größeren
Ehrgeiz, aber eine ernstere Lebensauffassung. Bezüglich der Griechen aber haben wir erfahren, dass
Sokrates angenehm, witzig, von fröhlicher Unterhaltungsgabe und in jeder Rede ein Meister der
Verstellungskunst gewesen ist, den die Griechen eirona genannt haben, dass hingegen Pythagoras und
Perikles höchstes Ansehen ohne jede Heiterkeit erlangt haben. Dass von den Feldherrn der Punier Hannibal
und von unseren Feldherrn Q. Maximus verschlagen gewesen ist, haben wir erfahren, dass sie gerne
verheimlichten, schwiegen, sich verstellten, auflauerten und die Pläne der Feinde im Voraus vereitelten.
In dieser Beziehung ziehen die Griechen Themistokles und Iason aus Pherae den übrigen vor und besonders
die verschlagene und listige Tat Solons, der, damit sein Leben um so sicherer war und er dem Staat
erheblich mehr nutzen konnte, so tat, als sei er von Sinnen.
Erat in L. Crasso, in L. Philippo multus lepos, maior
etiam magisque de industria in C. Caesare, L. filio; at isdem temporibus in M.
Scauro et in M. Druso adulescente singularis severitas, in C. Laelio multa
hilaritas, in eius familiari Scipione ambitio maior, vita tristior. de Graecis
autem dulcem et facetum festivique sermonis atque in omni oratione simulatorem,
quem eirona Graeci nominarunt, Socratem accepimus, contra Pythagoram et
Periclem summam auctoritatem consecutos sine ulla hilaritate. Callidum
Hannibalem ex Poenorum, ex nostris ducibus Q. Maximum accepimus, facile celare,
tacere, dissimulare, insidiari, praeripere hostium consilia. In quo genere
Graeci Themistoclem et Pheraeum Iasonem ceteris anteponunt, in primisque
versutum et callidum factum Solonis, qui, quo et tutior eius vita esset et plus
aliquanto rei publicae prodesset, furere se simulavit.
Andere sind diesen sehr unähnlich, arglos und offenherzig, die meinen, nichts dürfe heimlich, nichts
dürfe durch einen Hinterhalt geschehen, Verehrer der Wahrheit, Feinde des Betruges, und ebenso andere,
die sich alles gefallen lassen, jedem ergeben sind, wenn sie nur das erreichen, was sie wollen, wie wir
Sulla und M. Crassus erlebten. Dass in dieser Hinsicht der Spartaner Lysander sehr listig und geduldig
gewesen ist, haben wir erfahren, und dass Callicratidas das Gegenteil gewesen ist, welcher der nächste
Flottenpräfekt nach lysander war. Und ebenso haben wir erfahren, dass ein anderer, mag er auch noch so
einflussreich sein, in Gesprächen bewirkt, dass er einer von vielen zu sein scheint, was wir bei Catulus
gesehen haben, bei seinem Vater und Sohn und ebenso bei Q. Mucius Maucia. Ich habe von Älteren gehört,
dass dasselbe auf P. Scipio Nasica zugetroffen hat, sein Vater hingegen, jener, der die ruchlosen
Versuche des T. Gracchus geahndet hat, keine Freundlichkeit in der Unterhaltung gezeigt habe und genau
deswegen groß und berühmt gewesen sei. Es gibt andere unzählige Verschiedenartigkeiten im Wesen und in
den Gewohnheiten, die dennoch keineswegs tadelnswert sind.
Sunt his alii multum dispares, simplices et aperti, qui
nihil ex occulto, nihil de insidiis agendum putant, veritatis cultores, fraudis
inimici, itemque alii, qui quidvis perpetiantur, cuivis deserviant, dum quod
velint consequantur, ut Sullam et M. Crassum videbamus. quo in genere
versutissimum et patientissimum Lacedaemonium Lysandrum accepimus, contraque
Callicratidan, qui praefectus classis proximus post Lysandrum fuit. Itemque in
sermonibus alium [quemque], quamvis praepotens sit, efficere, ut unus de multis
esse videatur, quod in Catulo, et in patre et in filio, idemque in Q. Mucio, +
Mancia vidimus. Audivi ex maioribus natu, hoc idem fuisse in P. Scipione Nasica,
contraque patrem eius, illum qui Ti. Gracchi conatus perditos vindicavit, nullam
comitatem habuisse sermonis, [ne Xenocratem quidem severissimum philosophorum,]
ob eamque rem ipsam magnum et clarum fuisse. Innumerabiles aliae
dissimilitudines sunt naturae morumque, minime tamen vituperandorum.
In hohem Grade aber muss jeder an seinen individuellen Eigenschaften festhalten, soweit sie nicht
fehlerhaft sind, aber doch den eigenen Charakter ausmachen, damit um so leichter jenes von uns
untersuchte Schickliche bewahrt wird. So nämlich müssen wir handeln, dass wir nichts gegen die
allgemeine Natur anstreben und dennoch, ohne diese zu schädigen, unserem individuellen Charakter folgen,
damit wir, auch wenn anderes bedeutender und besser ist, dennoch unsere Ziele nach dem Maßstab unserer
Natur beurteilen; denn es ist nicht sinnvoll, der Natur zu widerstreiten und nach etwas zu trachten, das
man nicht erreichen kann. Hierdurch wird besser sichtbar, wie beschaffen jenes Schickliche ist, deswegen
weil gegen den Willen Minervas nichts schicklich ist, wie man sagt, d.h. wenn die Natur Widerstand
leistet und sich widersetzt.
Admodum autem tenenda sunt sua cuique, non vitiosa, sed
tamen propria, quo facilius, decorum illud, quod quaerimus, retineatur. Sic enim
est faciendum, ut contra universam naturam nihil contendamus, ea tamen
conservata propriam nostram sequamur, ut etiamsi sint alia graviora atque
meliora, tamen nos studia nostra nostrae naturae regula metiamur; neque enim
attinet naturae repugnare nec quicquam sequi, quod assequi non queas. ex quo
magis emergit quale sit decorum illud, ideo quia nihil decet invita Minerva, ut
aiunt, id est adversante et repugnante natura.
Mit einem Wort, wenn überhaupt irgendetwas schicklich ist, dann ist in der Tat nichts schicklicher
als die Ausgeglichenheit des gesamten Lebens sowie der einzelnen Handlungen, die du nicht bewahren
kannst, wenn du die Natur anderer nachahmst und deine verleugnest. Wie wir nämlich die Sprache
gebrauchen müssen, die uns angeboren ist, damit wir nicht wie manche, die griechische Worte einschalten,
mit vollem Recht verlacht werden, so dürfen wir in unsere Handlungen und unser ganzes Leben keine
Widersprüchlichkeit hineintragen.
Omnino si quicquam est decorum, nihil est profecto
magis quam aequabilitas [cum] universae vitae, tum singularum actionum, quam
conservare non possis, si aliorum naturam imitans, omittas tuam. Ut enim sermone
eo debemus uti, qui innatus est nobis, ne, ut quidam, Graeca verba inculcantes
iure optimo rideamur, sic in actiones omnemque vitam nullam discrepantiam
conferre debemus.
Und dieser Unterschied der Naturen hat eine so große Bedeutung, dass manchmal der eine Selbstmord
begehen, der andere es unter denselben Umständen aber nicht muss. War denn M. Cato in der einen
Situation, in einer anderen die übrigen, die sich in Afrika Caesar ausgeliefert haben? Nun aber wäre es
den übrigen vielleicht als Fehler angerechnet worden, wenn sie sich umgebracht hätten, deswegen weil ihr
Leben anpassungsfähiger und ihre Gewohnheiten umgänglicher gewesen waren; weil die Natur Cato eine
unglaubliche Strenge verliehen und er selbst diese in fortwährender Beständigkeit gefestigt hatte sowie
immer bei seiner Zielsetzung und seiner vorgefassten Absicht geblieben war, musste er lieber sterben als
das Gesicht des Tyrannen erblicken.
Atque haec differentia naturarum tantam habet vim, ut
non numquam mortem sibi ipse consciscere alius debeat, alius [in eadem causa]
non debeat. Num enim alia in causa M. Cato fuit, alia ceteri, qui se in Africa
Caesari tradiderunt? atqui ceteris forsitan vitio datum esset, si se
interemissent, propterea quod lenior eorum vita et mores fuerant faciliores;
Catoni cum incredibilem tribuisset natura gravitatem, eamque ipse perpetua
constantia roboravisset semperque in proposito susceptoque consilio
permansisset, moriendum potius quam tyranni vultus aspiciendus fuit.
Wie vieles hat Odysseus auf jener lange dauernden Irrfahrt erlitten, als er Frauen diente, wenn
Circe und Calypso als Frauen zu bezeichnen sind, und im Umgang mit jedermann zu allen freundlich und
liebenswürdig sein wollte. Zu Hause aber ertrug er auch die schmachvolle Behandlung durch seine Sklaven
und Sklavinnen, um endlich einmal zu dem zu gelangen, was er wünschte. Aber Aiax hätte bei der
Gemütsart, die er nach der überlieferung hatte, tausendmal lieber in den Tod gehen als jenes ertragen
wollen. Wenn wir dieses betrachten, wird es notwendig sein zu erwägen, was jeder an Eigenart hat, und
dieses harmonisch auszuformen, ohne erproben zu wollen, wie sehr fremde Eigenschaften zu einem passen;
das nämlich ziemst sich für jeden am meisten, was für jeden am meisten das Seine ist.
Quam multa passus est Ulixes in illo errore diuturno,
cum et mulieribus, si Circe et Calypso mulieres appellandae sunt, inserviret et
in omni sermone omnibus affabilem [et iocundum] esse se vellet! Domi vero etiam
contumelias servorum ancillarumque pertulit, ut ad id aliquando, quod cupiebat,
veniret. At Aiax, quo animo traditur, milies oppetere mortem quam illa perpeti
maluisset. Quae contemplantes expendere oportebit, quid quisque habeat sui,
eaque moderari nec velle experiri, quam se aliena deceant; id enim maxime
quemque decet, quod est cuiusque maxime suum.
Also soll jeder seinen individuellen Charakter erkennen und sich als strenger Richter seiner Vorzüge
und Fehler erweisen, damit nicht Schauspieler mehr Klugheit als wir zu haben scheinen. Jene nämlich
wählen nicht die besten, sondern die für sie geeignetsten Theaterstücke aus; diejenigen, die sich auf
ihre Stimme verlassen, wählen die Epigonen und Medos, die ihrem Gebärdenspiel vertrauen, Melanippa und
Clytemestra, immer wählt Rupsilius, an den ich mich erinnere, Antiopa, Aesopus nicht oft Aiax. Also wird
ein Schauspieler hierauf auf der Bühne achten, ein weiser Mann wird es in seinem Leben nicht tun? Wir
werden uns also hauptsächlich bei den Tätigkeiten anstrengen, für die wir am geeignetsten sein werden.
Wenn uns aber einmal eine Notlage zu dem drängt, was nicht unserer Anlage entsprechen wird, muss jede
mögliche Sorgfalt aufgewendet werden, jede mögliche Einübung und Aufmerksamkeit, damit wir dieses wenn
schon nicht schicklich, aber doch möglichst wenig unschicklich tun können, und wir brauchen uns nicht so
sehr anzustrengen, dass wir nach den Vorzügen streben, die uns nicht gegeben sind, als vielmehr, dass
wir Fehler vermeiden.
[Suum] quisque igitur noscat ingenium acremque se et
bonorum et vitiorum suorum iudicem praebeat, ne scaenici plus quam nos videantur
habere prudentiae. Illi enim non optumas, sed sibi accomodatissimas fabulas
eligunt; qui voce freti sunt, Epigonos Medumque, qui gestu Melanippam,
Clytemestram, semper Rupilius, quem ego memini, Antiopam, non saepe Aesopus
Aiacem. ergo histrio hoc videbit in scena, non videbit sapiens vir in vita? Ad
quas igitur res aptissimi erimus, in iis potissimum elaborabimus. sin aliquando
necessitas nos ad ea detruserit, quae nostri ingenii non erunt, omnis adhibenda
erit cura, meditatio, diligentia, ut ea, si non decore, at quam minime indecore
facere possimus, nec tam est enitendum, ut bona, quae nobis data non sint,
sequamur, quam ut vitia fugiamus.
Und diesen zwei Rollen, die ich oben genannt habe, wird eine dritte hinzugefügt, die irgendein
Zufall oder eine Gelegenheit aufbürdet, sogar eine vierte, die wir uns selbst nach unserer Entscheidung
anlegen. Denn Königsherrschaften und Befehlsgewalten, Adel und Ehren, Reichtum und Macht und das, was
diesem entgegengesetzt ist, werden, weil sie auf Zufall beruhen, von den Zeitumständen gelenkt; welche
Rolle wir selbst aber spielen wollen, hängt von unserem Willen ab. Daher widmen sich die einen der
Philosophie, andere dem bürgerlichen Recht und wieder andere der Beredsamkeit, und hinsichtlich der
Tugenden selbst will sich der eine lieber in dieser, der andere in jener auszeichnen.
Ac duabus iis personis, quas supra dixi, tertia
adiungitur, quam casus aliqui aut tempus imponit, quarta etiam, quam nobismet
ipsis iudicio nostro accommodamus. nam regna, imperia, nobilitatem, honores,
divitiae, opes eaque, quae sunt his contraria, in casu sita temporibus
gubernantur; ipsi autem gerere quam personam velimus, a nostra voluntate
proficiscitur. Itaque se alii ad philosophiam, alii ad ius civile, alii ad
eloquentiam applicant, ipsarumque virtutum in alia alius mavult excellere.
Diejenigen aber, deren Väter oder Vorfahren sich durch irgendeine rühmliche Tätigkeit ausgezeichnet
haben, trachten meistens danach, sich auf demselben verdienstvollen Gebiet hervorzutun, wie Q. Mucius,
der Sohn des Publius, im bürgerlichen Recht und Africanus, der Sohn des Paulus, im Kriegswesen. Einige
aber fügen zu den Verdiensten, die sie von ihren Vätern übernommen haben, einen eigenen hinzu, wie eben
dieser Africanus durch seine Beredsamkeit den Kriegsruhm gesteigert hat, was gleichfalls Timotheus tat,
Konons Sohn, der, obwohl er seinem Vater an Kriegsruhm nicht nachgestanden hatte, zu diesem Ruhm die
Anerkennung für seine Gelehrsamkeit und seine Begabung hinzufügte. Zuweilen kommt es aber vor, dass
einige die Nachahmung ihrer Vorfahren unterlassen und einem sozusagen persönlichen Lebensplan folgen,
und besonders strengen sich hierbei meistens diejenigen an, die sich großes vornehmen, da sie von
ruhmlosen Vorfahren abstammen.
quorum vero patres aut maiores aliqua gloria
praestiterunt, ii student plerumque eodem in genere laudis excellere, ut Q.
Mucius P. f. In iure civili, Pauli filius Africanus in re militari. quidam autem
ad eas laudes quas a patribus acceperunt, addunt aliquam suam, ut hic idem
Africanus eloquentia cumulavit bellicam gloriam, quod idem fecit Timotheus,
Cononis filius, qui cum belli laude non inferior fuisset quam pater, ad eam
laudem doctrinae et ingenii gloriam adiecit. fit autem interdum, ut nonnulli
omissa imitatione maiorum suum quoddam institutum consequantur, maximeque in eo
plerumque elaborant ii, qui magna sibi proponunt obscuris orti maioribus.
All dieses müssen wir, wenn wir nach dem Schicklichen fragen, mit Herz und Verstand erfassen; vor
allem aber müssen wir uns klar machen, wer und von welcher Art wir und in welchem Beruf wir sein wollen,
eine Überlegung, die die schwierigste von allen ist. Denn zu Beginn der Jugendzeit, wenn die Einsicht
noch auf recht schwachen Füßen steht, entscheidet sich ein jeder für diejenige Art sein Leben zu
verbringen, für die er sich am meisten begeistert hat. Daher lässt er sich auf eine bestimmte
Lebensweise und einen Lebenslauf ein, bevor er beurteilen konnte, was am besten ist.
Haec igitur omnia, cum quaerimus quid deceat, complecti
animo et cogitatione debemus; in primis autem constituendum est, quos nos et
quales esse velimus et in quo genere vitae, quae deliberatio est omnium
difficillima. Ineunte enim adulescentia, cum est maxima inbecillitas consilii,
tum id sibi quisque genus aetatis degendae constituit, quod maxime adamavit.
Itaque ante implicatur aliquo certo genere cursuque vivendi, quam potuit, quod
optimum esset, iudicare.
Denn wenn Podicus sagt, dass Herkules, wie es bei Xenophon steht, in den ersten Jahren der
Jugendreife - ein Lebensabschnitt, der von der Natur gegeben ist, um auszuwählen, welchen Lebensweg
jeder einschlagen will - in die Einsamkeit weggegangen sei und dort sitzend sich lange und ernstlich
gefragt habe, als er zwei Wege erkannte, den einen des Vergnügens und den anderen der Tugend, welchen
von beiden einzuschlagen besser sei, konnte dieses vielleicht dem Herkules, da er ein Zeussprössling
war, gelingen, uns aber nicht in gleicher Weise, die wir diejenigen nachahmen, die nachzuahmen uns
richtig scheint, und zu deren Zielsetzungen und Grundsätzen wir uns hinbewegen lassen. Meistens aber
werden wir durch die Weisungen der Eltern angeleitet und lassen uns zu deren Sitten und Gewohnheiten
hinführen; andere lassen sich von dem Urteil der Menge bestimmen, und sie ersehnen meistens das, was dem
größeren Teil sehr schön zu sein scheint; einige sind dennoch entweder infolge einer gewissen
glücklichen oder guten Naturanlage dem rechten Lebensweg gefolgt.
Nam quod Herculem Prodicus dicit, ut est apud
Xenophontem, cum primum pubesceret, quod tempus a natura ad deligendum, quam
quisque viam vivendi sit ingressurus, datum est, exisse in solitudinem atque ibi
sedentem diu secum multumque dubitasse, cum duas cerneret vias, unam Voluptatis,
alteram Virtutis, utram ingredi melius esset, hoc Herculi, "Iovis satu edito"
potuit fortasse contingere, nobis non item, qui imitamur quos cuique visum est
atque ad eorum studia institutaque impellimur. Plerumque autem parentium
praeceptis imbuti ad eorum consuetudinem moremque deducimur; alii multitudinis
iudicio feruntur, quaeque maiori parti pulcherrima videntur, ea maxime exoptant;
nonnulli tamen sive felicitate quadam sive bonitate naturae sine parentium
disciplina rectam vitae secuti sunt viam.
Jene Gruppe aber ist besonders selten, nämlich die Gruppe derer, die, entweder mit vortrefflicher
Geistesgröße oder ausgezeichneter Bildung und Gelehrsamkeit oder mit beidem ausgestattet, sogar die
Möglichkeit hatten zu überlegen, welchem Lebenslauf sie vornehmlich folgen wollen; bei dieser Überlegung
muss sich ein Plan ganz nach der persönlichen Veranlagung eines jeden ausrichten. Denn wenn wir bei
allem, was getan wird, entsprechend der Herkunft eines jeden, wie oben gesagt worden ist, fragen, was
schicklich ist, dann ist bei der Einrichtung des ganzen Lebensplanes eine viel größere Sorge um diesen
Punkt aufzubringen, damit wir das ganze Leben hindurch uns selbst treu bleiben, ohne in irgendeiner
Pflichtausübung zu schwanken.
Illud autem maxime rarum genus est eorum, qui aut
excellenti ingenii magnitudine aut praeclara eruditione atque doctrina aut
utraque re ornati spatium etiam deliberandi habuerunt, quem potissimum vitae
cursum sequi vellent; in qua deliberatione ad suam cuiusque naturam consilium
est omne revocandum. Nam cum in omnibus quae aguntur, ex eo, quomodo quisque
natus est, ut supra dictum est, quid deceat, exquirimus, tum in tota vita
constituenda multo est ei rei cura maior adhibenda, ut constare in perpetuitate
vitae possimus nobismet ipsis nec in ullo officio claudicare.
Da aber auf diese Überlegung die Natur den größten Einfluss hat, die äußeren Umstände den
zweitgrößten, muss bei der Wahl des Berufes zwar auf beide Rücksicht genommen werden, mehr aber auf die
Natur; denn sie ist viel stärker und beständiger, so dass das Schicksal manchmal, gleich als ob es
selbst sterblich wäre, mit der unsterblichen Natur zu kämpfen scheint. Wer also seinen ganzen Lebensplan
nach der Beschaffenheit seiner Natur ausgerichtet hat, sofern sie nicht fehlerhaft ist, der soll sich
treu bleiben (dieses nämlich ziemt sich ganz besonders), es müsste denn sein, dass er erkannt hat, sich
bei der Wahl des Berufes geirrt zu haben. Falls dieses eintritt (es kann aber eintreten), hat eine
Änderung des Auftretens und der Lebensführung zu erfolgen. Wenn die Zeitumstände diese Änderung
unterstützen, werden wir sie leichter und bequemer bewältigen; andernfalls muss sie kaum merklich und
allmählich erfolgen, wie die Weisen meinen, es sei schicklicher, Freundschaften, die weniger erfreuen
und weniger anerkannt werden, allmählich aufzulösen als plötzlich abzubrechen. Sobald aber der Beruf
geändert worden ist, müssen wir mit allen Mitteln dafür sorgen, dass wir dieses nach reiflicher
Überlegung getan zu haben scheinen.
Ad hanc autem rationem quoniam maximam vim natura
habet, fortuna proximam, utriusque omnino habenda ratio est in deligendo genere
vitae, sed naturae magis; multo enim et firmior est et constantior, ut fortuna
nonunquam tamquam ipsa mortalis cum immortali natura pugnare videatur. Qui
igitur ad naturae suae non vitiosae genus consilium vivendi omne contulerit, is
constantiam teneat (id enim maxime decet) nisi forte se intellexerit errasse in
deligendo genere vitae. Quod si acciderit (potest autem accidere) facienda morum
institutorumque mutatio est. Eam mutationem si tempora adiuvabunt, facilius
commodiusque faciemus; sin minus, sensim erit pedetemptimque facienda, ut
amicitias, quae minus delectent et minus probentur, magis decere censent
sapientes sensim diluere quam repente praecidere.
Aber da kurz zuvor gesagt worden ist, dass die Älteren nachzuahmen seien, soll erstens folgende
Ausnahme gelten, dass Fehler nicht nachgeahmt werden dürfen, zweitens, falls die Natur es nicht zulassen
wird, dass sie einiges nachahmen können - wie der Sohn des älteren Africanus, der diesen Sohn des Paulus
adoptiert hat, wegen seiner schwachen Gesundheit nicht so dem Vater ähnlich sein konnte, wie jener
seinem ähnlich gewesen war -, wenn er also nicht imstande sein wird, entweder als Rechtsanwalt tätig zu
sein oder das Volk durch Reden zu fesseln oder Kriege zu führen, so wird er dennoch jene Tugenden zeigen
müssen, die in seiner Macht liegen werden, Gerechtigkeit, Treue, Freigebigkeit, Bescheidenheit und
Selbstbeherrschung, damit an ihm um so weniger das vermisst wird, was fehlt. Als beste Erbschaft aber,
die vorzüglicher ist als jedes Erbe, wird den Kindern von ihren Vätern der Ruhm der Tugend und der Taten
überlassen, dem Schande zu bringen als Frevel und Fehler beurteilt werden muss.
Commutato autem genere vitae omni ratione curandum est
ut id bono consilio fecisse videamur. Sed quoniam paulo ante dictum est
imitandos esse maiores, primum illud exceptum sit ne vitia sint imitanda, deinde
si natura non feret, ut quaedam imitari possit (ut superioris filius Africani,
qui hunc Paulo natum adoptavit, propter infirmitatem valetudinis non tam potuit
patris similis esse, quam ille fuerat sui) si igitur non poterit sive causas
defensitare sive populum contionibus tenere sive bella gerere, illa tamen
praestare debebit, quae erunt in ipsius potestate, iustitiam, fidem,
liberalitatem, modestiam, temperantiam, quo minus ab eo id, quod desit,
requiratur. Optima autem hereditas a patribus traditur liberis omnique
patrimonio praestantior gloria virtutis rerumque gestarum, cui dedecori esse
nefas et vitium iudicandum est.
Da die Pflichten nicht zugleich verschiedenen Altersstufen zugewiesen werden, sondern die einen zu
jungen Leuten passen, die anderen zu Älteren, muss auch etwas über diese Unterscheidung gesagt werden.
Es ist also die Aufgabe eines jungen Menschen, die Vorfahren zu verehren und aus ihnen die Besten und
Bewährtesten auszuwählen, um sich auf deren Rat und Ansehen zu stützen; denn die Unerfahrenheit der
Jugend muss durch die Klugheit der Alten unterwiesen und gelenkt werden. Am meisten aber ist diese
Altersstufe von Ausschweifungen fernzuhalten, und sie ist auszubilden in Anstrengungen und in der
Ausdauer von Körper und Geist, damit bei ihrer Verrichtung kriegerischer und ziviler Aufgaben eine rege
Betriebsamkeit herrscht. Und auch dann, wenn sie sich erholen und der Fröhlichkeit anheimgeben wollen,
sollen sie sich vor Unmäßigkeit hüten und sich auf die Zurückhaltung besinnen, was leichter sein wird,
falls sie die Älteren bereitwillig an derartigen Unternehmungen teilnehmen lassen.
Et quoniam officia non eadem disparibus aetatibus
tribuuntur aliaque sunt iuvenum, alia seniorum, aliquid etiam de hac
distinctione dicendum est. Est igitur adulescentis maiores natu vereri exque iis
deligere optimos et probatissimos, quorum consilio atque auctoritate nitatur;
ineuntis enim aetatis inscitia senum constituenda et regenda prudentia est.
Maxime autem haec aetas a libidinibus arcenda est exercendaque in labore
patientiaque et animi et corporis, ut eorum et in bellicis et in civilibus
officiis vigeat industria. Atque etiam cum relaxare animos et dare se
iucunditati volent, caveant intemperantiam, meminerint verecundiae, quod erit
facilius, si in eiusmodi quidem rebus maiores natu nolent interesse.
Ferner müssen die Alten offenbar körperliche Strapazen verringern und die Übung des Geistes sogar
verstärken, sie haben sich aber Mühe zu geben, dass sie Freunde, die Jugend und besonders den Staat
durch ihre Einsicht und ihre praktische Erfahrung möglichst viel unterstützen. Vor nichts aber muss sich
das Greisenalter mehr fürchten als davor, dass es sich der Schlaffheit und dem Müßiggang hingibt; die
Genusssucht aber ist für jedes Lebensalter schändlich und am schmählichsten für das Greisenalter. Wenn
aber auch noch die Zügellosigkeit in den Ausschweifungen hinzugetreten ist, ist das Übel ein doppeltes,
weil das Greisenalter selbst eine Schande auf sich lädt und die Zügellosigkeit der Jugend noch
schamloser macht.
Senibus autem labores corporis minuendi, exercitationes
animi etiam augendae videntur, danda vero opera, ut et amicos et iuventutem et
maxime rem publicam consilio et prudentia quam plurimum adiuvent. Nihil autem
magis cavendum est senectuti quam ne languori se desidiaeque dedat; luxuria vero
cum omni aetati turpis, tum senectuti foedissima est. Sin autem etiam libidinum
intemperantia accessit, duplex malum est, quod et ipsa senectus dedecus concipit
et facit adulescentium impudentiorem intemperantiam.
Und nun liegt sicherlich auch jenes nicht außerhalb des Themas, über die Pflichten von Beamten,
Privatleuten, Bürgern und Fremden zu sprechen. Es ist also die eigentümliche Aufgabe eines Beamten zu
erkennen, dass er die Bürgergemeinde vertritt, ihre Würde und Ehre aufrechterhalten, die Gesetze
beachten, die Rechtsansprüche sichern und sich auf das besinnen muss, was seiner Redlichkeit anvertraut
worden ist. Ein Privatmann aber muss auf ganz gleicher Rechtsgrundlage mit den Bürgern leben, weder
unterwürfig und verzagt noch überheblich, und sodann als Staatsbürger das wollen, was friedlich und
ehrenhaft ist; einen solchen nämlich pflegen wir als einen guten Bürger zu betrachten und zu bezeichnen.
Ac ne illud quidem alienum est, de magistratuum, de
privatorum, [de civium], de peregrinorum officiis dicere. Est igitur proprium
munus magistratus intellegere se gerere personam civitatis debereque eius
dignitatem et decus sustinere, servare leges, iura discribere, ea fidei suae
commissa meminisse. Privatum autem oportet aequo et pari cum civibus iure vivere
neque summissum et abiectum neque se efferentem, tum in re publica ea velle,
quae tranquilla et honesta sint; talem enim solemus et sentire bonum civem et
dicere.
Es ist aber die Pflicht eines Fremden und eines ansässigen Ausländers, nichts außer seinen Aufgaben
zu verrichten, sich nicht um eines anderen Privatanliegen zu kümmern und sich keineswegs in einen
fremden Staat einzumischen. - So wird man in der Regel die Pflichten finden, indem gefragt wird, was
schicklich ist und was zu den Personen, Zeitumständen und Altersstufen passt. Es gibt aber nichts, was
sich so ziemt wie bei jeder Handlung und jedem Plan Beständigkeit zu bewahren.
Peregrini autem atque incolae officium est nihil
praeter suum negotium agere, nihil de alio anquirere minimeque esse in aliena re
publica curiosum.--Ita fere officia reperientur, cum quaeretur quid deceat et
quid aptum sit personis, temporibus, aetatibus. Nihil est autem quod tam deceat,
quam in omni re gerenda consilioque capiendo servare constantiam.
Aber da jenes Schickliche in allen Taten und Worten, schließlich in der Bewegung und Haltung des
Körpers erkennbar ist und auf drei Voraussetzungen beruht, auf Schönheit, den Sinn für Ordnung und einem
der Handlung angemessenen Auftreten - diese sind schwer in Worten auszudrücken, aber es wird genügen,
dass sie erkannt werden -, da ferner in diesen drei Voraussetzungen auch die Sorge darum enthalten ist,
dass wir von denjenigen anerkannt werden, mit denen und bei denen wir leben, soll auch hierüber einiges
gesagt werden. Von Anfang an scheint die Natur unserem Körper große Bedeutung geschenkt zu haben, da sie
unser Antlitz und die übrigen Körperteile, soweit sie einen schönen Anblick bieten, frei sichtbar
anordnete, die Körperteile aber, die, zur Verrichtung eines natürlichen Bedürfnisses gegeben, einen
unfürmigen und hässlichen Anblick bieten sollten, bedeckte und verbarg.
Sed quoniam decorum illud in omnibus factis, dictis, in
corporis denique motu et statu cernitur idque positum est in tribus rebus,
formositate, ordine, ornatu ad actionem apto, difficilibus ad eloquendum, sed
satis erit intellegi, in his autem tribus continetur cura etiam illa, ut
probemur iis, quibuscum apud quosque vivamus, his quoque de rebus pauca
dicantur. Principio corporis nostri magnam natura ipsa videatur habuisse
rationem, quae formam nostram reliquamque figuram, in qua esset species honesta,
eam posuit in promptu, quae partes autem corporis ad naturae necessitatem datae
aspectum essent deformem habiturae atque foedum, eas contexit atque abdidit.
Dieser so sorgfältigen Einrichtung der Natur ist der Anstand der Menschen gefolgt. Was nämlich die
Natur verborgen hat, entfernen gleichfalls alle, die bei gesundem Verstand sind, vor den Augen, und sie
geben sich selbst Mühe, dass sie ihre natürlichen Verrichtungen möglichst geheim vollziehen. Was nun
diejenigen Körperteile betrifft, deren Funktionen notwendig sind: weder nennen sie diese Teile noch
deren Funktionen mit ihren eigentlichen Bezeichnungen, und was zu tun nicht schändlich ist, wenn es nur
im Verborgenen geschieht, erregt Anstoß, wenn es benannt wird. Daher ist weder die offene Verrichtung
jener Handlungen frei von Frechheit noch ist es die Anstößigkeit der Rede.
Hanc naturae tam diligentem fabricam imitata est
hominum verecundia. Quae enim natura occultavit, eadem omnes, qui sana mente
sunt, removent ab oculis ipsique necessitati dant operam ut quam occultissime
pareant; quarumque partium corporis usus sunt necessarii, eas neque partes neque
earum usus suis nominibus appellant, quodque facere turpe non est, modo occulte,
id dicere obscenum est. Itaque nec actio rerum illarum aperta petulantia vacat
nec orationis obscenitas.
Nicht aber verdienen die Kyniker Gehör oder falls irgendwelche Stoiker beinahe Kyniker gewesen sind,
die kritisieren und darüber spotten, dass wir das, was von der Sache her nicht schändlich ist, durch
unsere Ausdrücke dafür als schändlich erachten, jenes aber, was schändlich ist, mit den eigentlichen
Bezeichnungen benennen. Straßenraub zu treiben, zu betrügen, die Ehe zu brechen ist wirklich schändlich,
aber der Gebrauch dieser Worte ist nicht unanständig; Kinder zu zeugen ist von der Sache her ehrenhaft,
aber vom Namen her unanständig; und noch mehr wird in diesem Sinne von denselben gegen den Anstand
angeführt. Wir aber wollen der Natur folgen und alles meiden, was der Billigung durch Augen und Ohren
widerstrebt; das Stehen, der Gang, das Sitzen, das SichzuTischLegen, der Gesichtsausdruck, die Augen und
die Bewegung der Hände sollen jenem Schicklichen entsprechen.
Nec vero audiendi sunt Cynici aut se qui fuerunt Stoici
paene cynici qui reprehendunt et irrident, quod ea, quae turpia non sint, verbis
flagitiosa ducamus, illa autem, quae turpia sunt, nominibus appellemus suis.
Latrocinari, fraudare, adulterare re turpe est, sed dicitur non obscene; liberis
dare operam re honestum est, nomine obscenum; pluraque in eam sententiam ab
eisdem contra verecundiam disputantur. Nos autem naturam sequamur et ab omni,
quod abhorret ab oculorum auriumque approbatione fugiamus; status, incessus,
sessio, accubitio, vultus, oculi, manuum motus teneat illud decorum.
Hierbei sind besonders zwei Fehler zu meiden, dass etwas verweichlicht oder schlaff und dass etwas
grob oder plump ist. Nicht aber darf den Schauspielern und Rednern eingeräumt werden, dass ein solches
Verhalten bei ihnen passend und richtig vor sich geht, bei uns jedoch als zügellos gilt. Das Betragen
der Schauspieler zeigt nach alter Zucht eine so große Zurückhaltung, dass niemand ohne Schurz auf die
Bühne tritt; sie fürchten sich nämlich, dass, falls es zufällig geschieht, dass gewisse Körperteile
entblößt werden, sie einen unanständigen Anblick gewähren. Nach unserer Sitte waschen sich nicht die
erwachsenen Söhne mit ihren Vätern, die Schwiegersöhne nicht mit ihren Schwiegervätern. Eine Scheu
dieser Art muss also beibehalten werden, zumal wenn die Natur selbst Lehrerin und Führerin ist.
Quibus in rebus duo maxime sunt fugienda, ne quid
effeminatum aut molle et ne quid durum aut rusticum sit. Nec vero histrionibus
oratoribusque concedendum est, ut is haec apta sint, nobis dissoluta.
Scaenicorum quidem mos tantam habet vetere disciplina verecundiam, ut in scaenam
sine subligaculo prodeat nemo; verentur enim, ne, si quo casu evenerit, ut
corporis partes quaedam aperiantur, aspiciantur non decore. Nostro quidem more
cum parentibus puberes filii, cum soceris generi non lavantur. Retinenda igitur
est huius generis verecundia, praesertim natura ipsa magistra et duce.
Da es aber zwei Arten von Schönheit gibt, von denen die Anmut der einen zugehört, die Würde der
anderen, müssen wir die Anmut für die Sache der Frauen halten, die Würde für die Sache der Männer. Also
soll von der äußeren Erscheinung jeder Schmuck ferngehalten werden, der eines Mannes nicht würdig ist,
und vor einem Fehler, der diesem ähnlich ist, soll man sich in Gesten und Bewegungen hüten. Denn
angelernte Bewegungen sind oft ziemlich anstößig und einige Gesten von Schauspielern sind nicht frei von
Albernheiten, und in beiden Fällen wird das gelobt, was schlicht und einfach ist. Die Würde der äußeren
Erscheinung aber muss durch eine frische Farbe erhalten werden, die Farbe durch Übungen des Körpers.
Außerdem ist auf Sauberkeit Wert zu legen, nicht auf eine pedantische und allzu übertriebene, sondern
nur auf eine solche, die plumpe und unfeine Nachlässigkeit meidet. Dieselbe Rücksicht muss auf die
Kleidung genommen werden, bei der wie bei den meisten Dingen der Mittelweg am besten ist.
Cum autem pulchritudinis duo genera sint, quorum in
altero venustas sit, in altero dignitas, venustatem muliebrem ducere debemus,
dignitatem virilem. Ergo et a forma removeatur omnis viro non dignus ornatus, et
huic simile vitium in gestu motuque caveatur. Nam et palaestrici motus sunt
saepe odiosiores et histrionum nonnulli gestus ineptiis non vacant, et in
utroque genere quae sunt recta et simplicia laudantur. Formae autem dignitas
coloris bonitate tuenda est, color exercitationibus corporis. Adhibenda
praeterea munditia est non odiosa neque exquisita nimis, tantum quae fugiat
agrestem et inhumanam neglegentiam. Eadem ratio est habenda vestitus, in quo,
sicut in plerisque rebus, mediocritas optima est.
Wir müssen uns aber davor hüten, dass wir weder beim Gehen einer allzu behäbigen Langsamkeit
frönen, so dass wir den Trägern bei Prozessionen ähnlich zu sein scheinen, noch uns in eiligen Fällen zu
großer Hast hingeben, durch die wir, wenn sie geschieht, ins Keuchen geraten, der Gesichtsausdruck sich
verändert und der Mund sich verzerrt; hieran erkennt man deutlich, dass eine gesetzte Haltung nicht
vorhanden ist. Aber um vieles mehr müssen wir uns auch bemühen, dass die Bewegungen der Seele sich nicht
von der Natur entfernen, was wir erreichen werden, wenn wir uns davor hüten, den Leidenschaften und der
Mutlosigkeit zu verfallen, und wenn wir unsere Aufmerksamkeit auf die Bewahrung des Schicklichen
richten.
Cavendum autem est, ne aut tarditatibus utamur [in]
ingressu mollioribus, ut pomparum ferculis similes esse videamur, aut in
festinationibus suscipiamus nimias celeritates, quae cum fiunt, anhelitus
moventur, vultus mutantur, ora torquentur; ex quibus magna significatio fit non
adesse constantiam. Sed multo etiam magis elaborandum est, ne animi motus a
natura recedant, quod assequemur, si cavebimus ne in perturbationes atque
exanimationes incidamus et si attentos animos ad decoris conservationem
tenebimus.
Die Bewegungen der Seele aber sind zweifach, die einen sind die des Denkens, die anderen die des
Begehrens. Das Denken beschäftigt sich hauptsächlich mit der Erforschung der Wahrheit, das Begehren
treibt zum Handeln an. Wir müssen also dafür sorgen, dass wir das Denken auf möglichst würdige
Gegenstände richten und das Begehren als der Vernunft gehorchend erweisen. Und da die Bedeutung der Rede
groß ist und dies in zweifacher Weise, einerseits als Streitrede und andererseits als Gespräch, soll die
Streitrede den Verhandlungen bei Gericht, in Volksversammlungen und im Senat zugewiesen werden, das
Gespräch soll in Versammlungen, bei Disputationen und bei familiären Begegnungen vorkommen und auch den
Gastmählern folgen. für die Streitrede gibt es Regeln von Rhetoren, für das Gespräch gibt es keine,
obwohl es auch diese geben könnte. Aber für eifrige Schüler werden Lehrer gefunden, jedoch sind keine
vorhanden, die sich um dieses Gespräch bemühen, überall findet sich der Schülerschwarm der Rhetoren;
indessen werden die Regeln, die für die Anordnung von Worten und Sätzen gegeben werden, zugleich für das
Gespräch gelten.
Motus autem animorum duplices sunt; alteri
cogitationis, alteri appetitus. Cogitatio in vero exquirendo maxime versatur,
appetitus impellit ad agendum. Curandum est igitur, ut cogitatione ad res quam
optimas utamur, appetitum rationi oboedientem praebeamus. Et quoniam magna vis
orationis est eaque duplex, altera contentionis, altera sermonis, contentio
disceptationibus tribuatur iudiciorum, contionum, senatus, sermo in circulis,
disputationibus, congressionibus familiarium versetur, sequatur etiam convivia.
Contentionis praecepta rhetorum sunt, nulla sermonis, quamquam haud scio an
possint haec quoque esse. Sed discentium studiis inveniuntur magistri, huic
autem qui studeant sunt nulli, rhetorum turba referta omnia; quamquam, quae
verborum sententiarumque praecepta sunt, eadem ad sermonem pertinebunt.
Aber da wir die Stimme als Ausdrucksorgan unserer Sprache haben, bei der Stimme aber zwei Prinzipien
folgen, dass sie deutlich und angenehm sein soll, muss beides grundsätzlich von der Natur eingefordert
werden, aber das eine wird die Übung fördern, das andere die Nachahmung derer, die ausdrucksvoll und
wohllautend sprechen. Bei den beiden Catulern gab es keine Veranlassung zu glauben, sie hätten einen
besonders feinen Sinn für Sprache, obwohl sie gebildet waren (aber dies waren auch andere); von diesen
jedoch glaubte man, sie hätten die beste lateinische Aussprache. Ihre Aussprache war angenehm, ihre
Worte weder zu breit noch verschluckt, damit das Gesagte nicht undeutlich oder affektiert war; ohne dass
sie sich anstrengten, war ihre Stimme weder monoton noch singend. Ausdrucksreicher war die Rede des L.
Crassus, aber nicht weniger elegant, jedoch der Ruf der Catuler, gute Redner zu sein, nicht geringer. An
Witz aber und geistreicher Art übertraf Caesar, der Bruder von Catulus' Vater, alle, so dass er sogar in
jenem Bereich der Gerichtsrede den Streitreden der anderen durch seinen Gesprächston überlegen war. Bei
all diesem also muss man sich Mühe geben, wenn wir in allem untersuchen, was schicklich ist.
Sed cum orationis indicem vocem habeamus, in voce autem
duo sequamur, ut clara sit, ut suavis, utrumque omnino a natura petundum est,
verum alterum exercitatio augebit, alterum imitatio presse loquentium et
leniter. Nihil fuit in Catulis, ut eos exquisito iudicio putares uti litterarum,
quamquam erant litterati; sed et alii; hi autem optime uti lingua Latina
putabantur. Sonus erat dulcis, litterae neque expressae, neque oppressae, ne aut
obscurum esset aut putidum, sine contentione vox nec languens nec canora.
Uberior oratio L. Crassi nec minus faceta, sed bene loquendi de Catulis opinio
non minor. Sale vero et facetiis Caesar, Catuli patris frater, vicit omnes, ut
in illo ipso forensi genere dicendi contentiones aliorum sermone vinceret. In
omnibus igitur his elaborandum est, si in omni re quid deceat exquirimus.
Es soll also dieses Gespräch, in dem sich die Sokratiker am meisten auszeichnen, ruhig und
keineswegs starrsinnig sein, Humor soll in ihm enthalten sein. Nicht aber schließe er, als ob ihm alles
gehörte, andere aus, sondern er halte wie im Allgemeinen so auch in dem gewöhnlichen Gespräch Rede und
Gegenrede nicht für unangemessen. Und besonders achte er darauf, über welche Gegenstände er spricht;
wenn über ernste, soll er Strenge walten lassen, wenn über scherzhafte, Humor. Vor allem sorge er dafür,
dass das Gespräch nicht aufdeckt, dass irgendein Fehler in seinem Charakter enthalten ist; dieses
geschieht gewöhnlich dann, wenn mit Eifer über Abwesende, um sie entweder im Scherz oder im Ernst zu
verleumden, lästernd und schmähend gesprochen wird.
Sit ergo hic sermo, in quo Socratici maxime excellunt,
lenis minimeque pertinax, insit in eo lepos. Nec vero, tamquam in possessionem
suam venerit, excludat alios, sed cum reliquis in rebus tum in sermone communi
vicissitudinem non iniquam putet. Ac videat in primis, quibus de rebus loquatur,
si seriis, severitatem adhibeat, si iocosis leporem. In primisque provideat, ne
sermo vitium aliquod indicet inesse in moribus; quod maxime tum solet evenire,
cum studiose de absentibus detrahendi causa aut per ridiculum aut severe,
maledice contumelioseque dicitur.
Meistens aber werden Gespräche über häusliche Angelegenheiten, über den Staat oder über
künstlerische Bestrebungen und die Wissenschaft geführt. Man muss sich also Mühe geben, dass die Rede,
auch wenn sie zu anderen Themen abzuschweifen beginnt, hierauf zurückgeführt wird, aber je nachdem die
Anwesenden geartet sind; denn hinsichtlich derselben Gegenstände werden wir weder zu jeder Zeit noch in
ähnlicher Weise durch das Gespräch erfreut. Auch ist darauf zu achten, wie weit das Gespräch Gefallen
findet, und wie es einen geeigneten Augenblick für den Beginn geben sollte, so auch eine sinnvolle
Begrenzung.
Habentur autem plerumque sermones aut de domesticis
negotiis aut de re publica aut de artium studiis atque doctrina. Danda igitur
opera est, ut, etiamsi aberrare ad alia coeperit, ad haec revocetur oratio, sed
utcumque aderunt; neque enim isdem de rebus nec omni tempore nec similiter
delectamur. Animadvertendum est etiam, quatenus sermo delectationem habeat, et
ut incipiendi ratio fuerit, ita sit desinendi modus.
Aber wie in jeder Lebenslage sehr zu Recht vorgeschrieben wird, dass wir Leidenschaften meiden
sollen, d.h. allzu starke Gefühlserregungen, die der Vernunft nicht gehorchen, so muss das Gespräch von
derartigen Empfindungen frei sein, damit nicht Zorn aufkommt oder irgendeine Begierde, Trägheit oder
Feigheit oder sich etwas Derartiges zeigt, und am meisten muss dafür gesorgt werden, dass wir
diejenigen, mit denen wir uns unterhalten werden, offenbar achten und lieben. Manchmal kommt auch
unvermeidlicher Tadel vor, bei dem wir vielleicht eine stärkere Anspannung der Stimme und schärfere,
ernstere Worte gebrauchen und auch darauf hinarbeiten müssen, dass wir dieses im Zorn zu tun scheinen.
Aber wie wir nur selten und unwillig zum Ausbrennen und Schneiden kommen, so auch zu dieser Art des
Tadelns, nur notgedrungen, falls kein anderes Heilmittel gefunden wird, aber dennoch sei der Zorn fern,
mit dem nichts richtig, nichts überlegt gemacht werden kann.
Sed quomodo in omni vita rectissime praecipitur, ut
perturbationes fugiamus, id est motus animi nimios rationi non obtemperantes,
sic eiusmodi motibus sermo debet vacare, ne aut ira existat aut cupiditas aliqua
aut pigritia aut ignavia aut tale aliquid appareat, maximeque curandum est, ut
eos, quibuscum sermonem conferemus, et vereri et diligere videamur.
Obiurgationes etiam nonnumquam incidunt necessariae, in quibus utendum est
fortasse et vocis contentione maiore et verborum gravitate acriore, id agendum
etiam, ut ea facere videamur irati. Sed ut ad urendum et secandum, sic ad hoc
genus castigandi raro invitique veniemus, nec unquam nisi necessario, si nulla
reperietur alia medicina, sed tamen ira procul absit, cum qua nihil recte fieri,
nihil considerate potest.
großenteils aber ist es möglich, einen milden Tadel zu gebrauchen, gleichwohl verbunden mit
Ernsthaftigkeit, damit Strenge gebraucht und eine schmachvolle Behandlung vermieden wird, und es muss
deutlich gezeigt werden, dass eben jene Härte, die der Tadel hat, um dessentwillen, der getadelt wird,
angewendet wurde. Richtig ist es aber, auch in jenen Streitreden, die mit den größten Feinden geführt
werden, selbst wenn wir etwas hören, was unser unwürdig ist, dennoch Würde zu bewahren und den Zorn
zurückzudrängen; was nämlich mit einiger Aufregung geschieht, das kann weder in entschiedener Haltung
getan noch von denjenigen gebilligt werden, die zugegen sind. Ungebührlich ist es auch, sich selbst zu
rühmen, zumal mit Falschem, und unter dem Hohn der Zuhörer den prahlerischen Soldaten nachzuahmen.
Magnam autem partem clementi castigatione licet uti,
gravitate tamen adiuncta, ut et severitas adhibeatur et contumelia repellatur,
atque etiam illud ipsum, quod acerbitatis habet obiurgatio, significandum est
ipsius id causa, qui obiurgetur, esse susceptum. Rectum est autem etiam in illis
contentionibus, quae cum inimicissimis fiunt, etiam si nobis indigna audiamus,
tamen gravitatem retinere, iracundiam pellere; quae enim cum aliqua
perturbatione fiunt, ea nec constanter fieri possunt neque is, qui adsunt,
probari. Deforme etiam est de se ipsum praedicare, falsa praesertim, et cum
inrisione audientium imitari militem gloriosum.
Und da wir alle Lebensbereiche darstellen, wir wollen es wenigstens, muss darüber gesprochen werden,
von welcher Art unserer Meinung nach das Haus eines angesehenen und führenden Mannes sein soll, dessen
Zweck der Gebrauch ist, an den der Bauplan anzupassen und wobei dennoch auf Zweckmäßigkeit und Würde
Rücksicht zu nehmen ist. Wir haben gehört, dass es für Cn. Octavius, der als erster aus jener Familie
Konsul geworden ist, ehrenvoll gewesen war, auf dem Palatin ein prächtiges und würdevolles Haus erbaut
zu haben, von dem man glaubte, es habe, als es von der Menge besichtigt wurde, seinen Eigentümer, einen
Emporkömmling, für das Konsulat empfohlen. Dieses riss Scaurus nieder und fügte seinem Haus das Haus des
Octavius als Anbau hinzu. Und so brachte jener als erster das Konsulat in sein Haus, dieser, der Sohn
eines sehr hohen und berühmten Mannes, trug in sein erweitertes Haus nicht nur die Zurückweisung bei der
Amtsbewerbung, sondern auch Schmach und Unheil.
Et quoniam omnia persequimur, volumus quidem certe,
dicendum est etiam, qualem hominis honorati et principis domum placeat esse,
cuius finis est usus, ad quem accommodanda est aedificandi descriptio et tamen
adhibenda commoditatis dignitatisque diligentia. Cn. Octavio, qui primus ex illa
familia consul factus est, honori fuisse accepimus, quod praeclaram aedificasset
in Palatio et plenam dignitatis domum, quae cum vulgo viseretur, suffragata
domino, novo homini, ad consulatum putabatur. Hanc Scaurus demolitus accessionem
adiunxit aedibus. Itaque ille in suam domum consulatum primus attulit, hic,
summi et clarissimi viri filius, in domum multiplicatam non repulsam solum
rettulit, sed ignominiam etiam et calamitatem.
Denn die Würde muss durch das Haus erhöht werden, sie ist nicht gänzlich aus dem Haus zu erwerben,
und der Hausherr ist nicht durch sein Haus, sondern das Haus durch den Hausherrn zu ehren, und wie man
in den übrigen Belangen nicht nur auf sich Rücksicht zu nehmen hat, sondern auch auf andere, so muss in
dem Haus eines berühmten Mannes, in das viele Gäste aufgenommen und eine Vielzahl Menschen jeden
Schlages zugelassen werden muss, für Geräumigkeit Sorge getragen werden. Andernfalls bringt ein
geräumiges Haus seinem Eigentümer oft Schande, wenn es einmal unter einem anderen Hausherrn oft
aufgesucht zu werden pflegte. Es ist nämlich Anstoß erregend, wenn von Vorübergehenden gesagt wird:
'Welch altes Haus und von welch ungleichem Hausherrn wirst du beherrscht'. Solches kann man in diesen
Zeiten mit Bezug auf viele Häuser sagen.
Ornanda enim est dignitas domo, non ex domo tota
quaerenda, nec domo dominus, sed domino domus honestanda est, et, ut in ceteris
habenda ratio non sua solum, sed etiam aliorum, sic in domo clari hominis, in
quam et hospites multi recipiendi et admittenda hominum cuiusque modi multitudo,
adhibenda cura est laxitatis. Aliter ampla domus dedecori saepe domino fit, si
est in ea solitudo, et maxime, si aliquando alio domino solita est frequentari.
Odiosum est enim, cum a praetereuntibus dicitur:
o domus antiqua, heu quam dispari
dominare domino
quod quidem his temporibus in multis licet dicere.
Es ist aber dafür zu sorgen, zumal wenn du selbst baust, dass du nicht durch Aufwand und Prunk das
Maß überschreitest; in dieser Hinsicht bringt das Beispiel viel Übel. Denn eifrig ahmen zumal in dieser
Beziehung die meisten die Taten der führenden Leute nach wie die des L. Lucullus, eines sehr
hochstehenden Mannes, wer ahmt aber seine tüchtigkeit nach? Aber wie viele haben den Prunk seiner Villen
nachgeahmt! Hierbei muss sicherlich ein Maß angewendet werden und dieselbe Mäßigung ist auf alle
Lebensgewohnheiten und den gesamten Lebensstil zu übertragen. Aber dieses bis hierher.
Cavendum autem est, praesertim si ipse aedifices, ne
extra modum sumptu et magnificentia prodeas, quo in genere multum mali etiam in
exemplo est. Studiose enim plerique praesertim in hanc partem facta principum
imitantur, ut L. Luculli, summi viri, virtutem quis? at quam multi villarum
magnificentiam imitati! Quarum quidem certe est adhibendus modus ad
mediocritatemque revocandus. Eademque mediocritas ad omnem usum cultumque vitae
transferenda est. Sed haec hactenus.
Bei der Ausführung jeder Handlung aber müssen drei Gesichtspunkte beachtet werden, erstens, dass das
triebhafte Begehren der Vernunft gehorcht, was am geeignetsten zur Einhaltung der Pflichten ist,
zweitens, dass erkannt wird, wie groß jene Sache ist, die wir bewirken wollen, damit man weder eine
größere noch eine geringere Sorgfalt und Mühe aufwenden muss als die, welche die Sache erfordert. Der
dritte Gesichtspunkt besteht darin, dass wir dafür sorgen, dass das, was sich auf die edle Erscheinung
und würdevolle Haltung bezieht, maßvoll gewahrt ist. Das beste Maß aber ist es, das Schickliche selbst
zu bewahren, über das wir zuvor gesprochen haben und nicht dar-über hinauszugehen. Gleichwohl ist der
wichtigste dieser drei Gesichtspunkte der, dass das triebhafte Begehren der Vernunft gehorcht.
In omni autem actione suscipienda tria sunt tenenda,
primum ut appetitus rationi pareat, quo nihil est ad officia conservanda
accommodatius, deinde ut animadvertatur, quanta illa res sit, quam efficere
velimus, ut neve maior neve minor cura et opera suscipiatur, quam causa
postulet. Tertium est, ut caveamus, ut ea, quae pertinent ad liberalem speciem
et dignitatem, moderata sint. Modus autem est optimus decus ipsum tenere, de quo
ante diximus, nec progredi longius. Horum tamen trium praestantissimum est
appetitum obtemperare rationi.
Sodann muss über die Ordnung unserer Handlungen und über den günstigen Zeitpunkt gesprochen werden.
Diese Eigenschaften aber beruhen auf dem Wissen, das die Griechen eutaxin nennen, nicht die eutaxia,
die wir mit Mäßigung (modestia) übersetzen, ein Wort, in dem 'Maß' enthalten ist, sondern es ist jene
eutaxin, unter der man die Bewahrung von Ordnung versteht. Daher wird, damit wir dasselbe mit dem
Begriff 'modestia' meinen, diese von den Stoikern so definiert, dass 'modestia' die Fähigkeit
bezeichnet, das, was getan oder gesagt wird, an der richtigen Stelle einzuordnen. [So scheint die
Bedeutung von Ordnung und Stellung dieselbe zu sein; denn Ordnung definieren sie so als die richtige
Platzierung der Handlungen an geeigneten und passenden Stellen.] Sie meinen aber damit, dass der Ort der
Handlung der günstige Augenblick sei; der günstige Zeitpunkt für die Handlung aber wird auf Griechisch
eukairia genannt, auf Lateinisch die Gelegenheit. So kommt es, dass die 'modestia', die wir so deuten,
wie ich gesagt habe, das Wissen um die günstigen Augenblicke bedeutet, die zum Handeln geeignet sind.
Deinceps de ordine rerum et de opportunitate temporum
dicendum est. Haec autem scientia continentur ea, quam Graeci
eutaxin
nominant, non hanc, quam interpretamur modestiam, quo in verbo modus inest, sed
illa est eutaxia, in qua intellegitur ordinis conservatio. Itaque, ut
eandem nos modestiam appellemus, sic definitur a Stoicis, ut modestia sit
scientia rerum earum, quae agentur aut dicentur, loco suo collocandarum. Ita
videtur eadem vis ordinis et collocationis fore; nam et ordinem sic definiunt,
compositionem rerum aptis et accommodatis locis. Locum autem actionis
opportunitatem temporis esse dicunt; tempus autem actionis opportunum Graece
eukairia, Latine appellatur occasio. Sic fit, ut modestia haec, quam ita
interpretamur, ut dixi, scientia sit opportunitatis idoneorum ad agendum
temporum.
Aber die Definition von Klugheit, über die wir am Anfang gesprochen haben, kann dieselbe sein, an
dieser Stelle aber fragen wir nach der Mäßigung und Selbstbeherrschung sowie nach den Tugenden, die
diesen ähnlich sind. Daher ist das, was für die Klugheit eigentümlich ist, an passender Stelle gesagt
worden; was aber für diejenigen Tugenden eigentümlich ist, über die wir schon lange sprechen, die sich
auf die Ehrfurcht vor denen und die Anerkennung derer beziehen, mit denen wir leben, muss nun gesagt
werden.
Sed potest eadem esse prudentiae definitio, de qua
principio diximus, hoc autem loco de moderatione et temperantia et harum
similibus virtutibus quaerimus. Itaque quae erant prudentiae propria suo loco
dicta sunt; quae autem harum virtutum, de quibus iam diu loquimur, quae
pertinent ad verecundiam et ad eorum approbationem, quibuscum vivimus, nunc
dicenda sunt.
Also muss eine solche Anordnung der Handlungen verwendet werden, dass wie in einer konsequent
durchgeführten Rede so auch im Leben alles untereinander angemessen und schicklich ist; denn es ist
schändlich und sehr tadelnswert, bei einem ernsten Thema leichte Tischgespräche oder irgendeine
schlüpfrige Ausdrucksweise einzuführen. Richtig hat Perikles gesprochen, als er in der Heerführung den
Dichter Sophokles als seinen Kollegen hatte, als sie zwecks einer gemeinsamen Aufgabe zusammengekommen
waren und ein schöner Knabe zufällig vorüberging und Sophokles gesagt hatte "Welch schöner Knabe,
Perikles!": "Ja, aber es ziemt sich für einen Heerführer, Sophokles, nicht nur die Hände, sondern auch
die Augen im Zaum zu halten." Wenn nun aber Sophokles genau dasselbe bei der Musterung von Wettkämpfern
gesagt hätte, wäre er ohne einen rechtmäßigen Tadel geblieben: So groß ist die Bedeutung des Ortes und
der Zeit. Z.B. falls jemand bei der Vorbereitung auf eine Prozessrede unterwegs oder bei einem
Spaziergang bei sich selbst nachsinnt oder etwas anderes aufmerksamer bedenkt, dürfte er nicht getadelt
werden, tut er aber genau dasselbe bei einem Gastmahl, dürfte er wegen seiner Unkenntnis der äußeren
Umstände ungebildet erscheinen.
Talis est igitur ordo actionum adhibendus, ut,
quemadmodum in oratione constanti, sic in vita omnia sint apta inter se et
convenientia; turpe enim valdeque vitiosum in re severa convivio digna aut
delicatum aliquem inferre sermonem. Bene Pericles, cum haberet collegam in
praetura Sophoclem poetam iique de communi officio convenissent et casu formosus
puer praeteriret dixissetque Sophocles: "O puerum pulchrum, Pericle!" "At enim
praetorem, Sophocle, decet non solum manus sed etiam oculos abstinentes habere."
Atqui hoc idem Sophocles si in athletarum probatione dixisset, iusta
reprehensione caruisset. Tanta vis est et loci et temporis. Ut si qui, cum
causam sit acturus, in itinere aut in ambulatione secum ipse meditetur, aut si
quid aliud attentius cogitet, non reprehendatur, at hoc idem si in convivio
faciat, inhumanus videatur inscitia temporis.
Aber das, was mit anständigem Benehmen sehr im Widerspruch steht, z.B. wenn jemand auf dem Forum
singt oder wenn es irgendeine andere große Verkehrtheit gibt, verlangt nicht sonderlich nach einer
Ermahnung und nach Weisungen; vor den Fehlern aber, die gering zu sein scheinen und die nicht von vielen
erkannt werden können, muss man sich sorgfältiger hüten. Wie beim Saiten- oder Flötenspiel, wenn es auch
nur ein wenig vom Richtigen abweicht, dieses dennoch von einem Kenner gewöhnlich bemerkt wird, so ist im
Leben darauf zu achten, dass nicht etwa eine Disharmonie auftritt, oder es ist sogar bei weitem mehr
darauf zu achten, je bedeutender und besser die Harmonie der Handlungen im Vergleich zu den Tönen ist.
Sed ea, quae multum ab humanitate discrepant, ut si qui
in foro cantet aut si qua est alia magna perversitas, facile apparet nec
magnopere admonitionem et praecepta desiderat; quae autem parva videntur esse
delicta neque a multis intellegi possunt, ab iis est diligentius declinandum. Ut
in fidibus aut tibiis quamvis paulum discrepent, tamen id a sciente animadverti
solet, sic videndum est in vita ne forte quid discrepet, vel multo etiam magis,
quo maior et melior actionum quam sonorum concentus est.
Wie daher beim Saitenspiel die Ohren der Musiker sogar die geringsten Mängel merken, so werden wir,
wenn wir strenge und gewissenhafte Richter und Beobachter von Fehlern sein wollen, oft großes aus
Kleinem erkennen. Aus dem Blick der Augen, aus dem Sinkenlassen oder dem Zusammenziehen der Augenbrauen,
aus Traurigkeit oder Heiterkeit, aus dem Lachen, aus dem Sprechen oder dem Stillschweigen, aus der
Anspannung oder Senkung der Stimme und aus anderen ähnlichen Verhaltensweisen werden wir leicht
beurteilen, was an diesen äußerungen angemessen ist, was mit der Pflicht und der Natur im Widerspruch
steht. In diesem Fall ist es nicht unzweckmäßig, mit Blick auf andere zu beurteilen, von welcher Art
jede dieser Handlungen ist, so dass, wenn sich etwas für jene nicht ziemt, auch wir dieses meiden. Denn
merkwürdigerweise geschieht es, dass wir mehr bei anderen als bei uns erkennen, wenn ein Fehler begangen
wird. Daher werden diejenigen sehr leicht beim Lernen verbessert, deren Fehler die Lehrer nachahmen, um
sie zu verbessern.
Itaque ut in fidibus musicorum aures vel minima
sentiunt, sic nos, si acres ac diligentes iudices esse volumus
animadversores[que] vitiorum, magna saepe intellegemus ex parvis. Ex oculorum
optutu, superciliorum aut remissione aut contractione, ex maestitia, ex
hilaritate, ex risu, ex locutione, ex reticentia, ex contentione vocis, ex
summissione, ex ceteris similibus facile iudicabimus, quid eorum apte fiat, quid
ab officio naturaque discrepet. Quo in genere non est incommodum, quale quidque
eorum sit, ex aliis iudicare, ut, si quid dedeceat in illis, vitemus ipsi; fit
enim nescio quomodo ut magis in aliis cernamus, quam in nobismet ipsis, si quid
delinquitur. Itaque facillume corriguntur in discendo, quorum vitia imitantur
emendandi causa magistri.
Es ist aber nicht nachteilig, um eine richtige Entscheidung in den Angelegenheiten zu treffen, die
Zweifel hervorbringen, gelehrte oder auch praktisch erfahrene Männer hinzuzuziehen und zu ergründen,
welche Meinung sie zu jeder Art pflichtgemäßen Handelns haben. [Denn die Mehrheit pflegt in der Regel
dorthin zu gelangen, wohin sie von der Natur selbst geführt wird.] Bei ihnen ist nicht nur darauf zu
achten, was jeder sagt, sondern auch was jeder denkt und auch aus welchem Grund er dieses denkt. Wie
nämlich Maler, Bildhauer und sogar Dichter wollen, dass ihr Werk von der Menge betrachtet wird, damit,
falls etwas von der Mehrheit kritisiert worden ist, dieses verbessert werden kann, und wie sie bei sich
und zusammen mit anderen ergründen, was hierbei verkehrt gemacht worden ist, so müssen wir nach dem
Urteil anderer sehr vieles tun oder nicht tun sowie verändern und verbessern.
Nec vero alienum est ad ea deligenda, quae dubitationem
afferunt, adhibere doctos homines vel etiam usu peritos et, quid iis de quoque
officii genere placeat exquirere. Maior enim pars eo fere deferri solet, quo a
natura ipsa deducitur. In quibus videndum est, non modo quid quisque loquatur,
sed etiam quid quisque sentiat atque etiam de qua causa quisque sentiat. Ut enim
pictores et ii qui signa fabricantur et vero etiam poetae suum quisque opus a
vulgo considerari vult, ut si quid reprehensum sit a pluribus, id corrigatur,
iique et secum et ab aliis, quid in eo peccatum sit exquirunt, sic aliorum
iudicio permulta nobis et facienda et non facienda et mutanda et corrigenda
sunt.
Was aber gemäß der Sitte und staatlicher Einrichtungen verrichtet wird, darüber brauchen keine
Vorschriften erlassen zu werden; denn jene sind an sich schon Weisungen, und niemand darf sich von dem
Irrtum leiten lassen zu meinen, falls Sokrates oder Aristippos etwas gegen die Sitte und die öffentliche
Gewohnheit getan oder gesagt hätten, sei dasselbe auch ihnen erlaubt; durch große und übermenschliche
Vorzüge erlangten jene diese Freiheit. Die Lehre der Kyniker aber muss ganz verworfen werden; denn sie
ist feindlich gegenüber der Zurückhaltung eingestellt, ohne die nichts recht sein kann, nichts
ehrenhaft.
Quae vero more agentur institutisque civilibus, de his
nihil est praecipiendum; illa enim ipsa praecepta sunt, nec quemquam hoc errore
duci oportet, ut siquid Socrates aut Aristippus contra morem consuetudinemque
civilem fecerint locutive sint, idem sibi arbitretur licere; magnis illi et
divinis bonis hanc licentiam assequebantur. Cynicorum vero ratio tota est
eicienda; est enim inimica verecundiae, sine qua nihil rectum esse potest, nihil
honestum.
Diejenigen aber, deren Leben erprobt ist in ehrenhaften und guten Taten, müssen wir als wahre
Patrioten, die sich um den Staat verdient gemacht haben oder verdient machen, hoch achten und verehren,
wie wenn sie eine Ehrenstelle oder ein höheres Amt bekleideten; auch dem Alter müssen wir einen hohen
Wert beilegen und denen nachgeben, die ein Amt innehaben werden, einen Unterschied müssen wir machen
zwischen einem Bürger und einem Fremden und bei einem Fremden selbst, ob er privat oder im Namen des
Staates gekommen ist. Mit einem Wort, damit wir keine Einzelheiten abhandeln, wir müssen die gemeinsame
Verbindung und Vereinigung des ganzen Menschengeschlechts untereinander ehren, beschützen und bewahren.
Eos autem, quorum vita perspecta in rebus honestis
atque magnis est, bene de re publica sentientes ac bene meritos aut merentes sic
ut aliquo honore aut imperio affectos observare et colere debemus, tribuere
etiam multum senectuti, cedere iis, qui magistratum habebunt, habere dilectum
civis et peregrini in ipsoque peregrino privatimne an publice venerit. Ad
summam, ne agam de singulis, totius generis hominum conciliationem et
consociationem colere, tueri, servare debemus.
Bezüglich Handwerksarbeiten und Erwerbszweige, welche für eines freigeborenen Mannes würdig, welche
für unanständig zu halten sind, haben wir bereits ungefähr folgendes vernommen. Zuerst werden diejenigen
Erwerbszweige missbilligt, die dem Hass der Menschen anheim fallen, wie die der Zolleinnehmer und
Geldverleiher. Als eines Freien unwürdig aber und unanständig gelten die Erwerbszweige aller Tagelöhner,
deren Dienste, nicht deren künstlerische Leistungen bezahlt werden; denn in ihrem Fall ist der Lohn
selbst ein Handgeld für Dienstbarkeit. Auch müssen diejenigen als unanständig erachtet werden, die von
Großhändlern kaufen, was sie sofort wieder verkaufen; denn sie dürften nicht davon profitieren, wenn sie
nicht sehr schwindeln; und in der Tat gibt es nichts Schändlicheres als Unredlichkeit. Auch alle
Handwerker betreiben ein unanständiges Gewerbe; denn eine Werkstatt kann nichts Anständiges an sich
haben. Und keineswegs sind die Gewerbe zu billigen, die Dienerinnen des Vergnügens sind:
'Seefischhändler, Metzger, Köche, Geflügelmäster, Fischhändler', wie Terenz sagt. Nimm noch hinzu, wenn
es beliebt, Salbenhändler, Pantomimen und das ganze Tanzspiel.
Iam de artificiis et quaestibus, qui liberales habendi,
qui sordidi sint, haec fere accepimus. Primum improbantur ii quaestus, qui in
odia hominum incurrunt, ut portitorum, ut feneratorum. Illiberales autem et
sordidi quaestus mercennariorum omnium, quorum operae, non quorum artes emuntur;
est enim in illis ipsa merces auctoramentum servitutis. Sordidi etiam putandi,
qui mercantur a mercatoribus, quod statim vendant; nihil enim proficiant, nisi
admodum mentiantur; nec vero est quicquam turpius vanitate. Opificesque omnes in
sordida arte versantur; nec enim quicquam ingenuum habere potest officina.
Minimeque artes eae probandae, quae ministrae sunt voluptatum:
Cetarii, lanii, coqui, fartores, piscatores,
ut ait
Terentius; adde huc, si placet, unguentarios, saltatores, totumque ludum
talarium.
Diejenigen Künste aber, denen entweder eine größere Einsicht innewohnt oder durch die ein nicht
geringer Nutzen angestrebt wird wie die Medizin, die Architektur und der Unterricht in den ehrbaren
Wissenschaften, sind schicklich für diejenigen, zu deren Stand sie passen: Der Handel jedoch, wenn er
gering ist, muss für unanständig gehalten werden; wenn er aber groß und ausgedehnt ist, vieles von
überall her herbeibringt und vielen ohne Betrügerei zuteilt, darf er nicht sehr getadelt werden; und
auch, wenn der Kaufmann durch den Erwerb gesättigt oder vielmehr mit ihm zufrieden ist, scheint er,
sowie er sich oft vom Meer in den Hafen und aus dem Hafen selbst auf das Land und seine Besitzungen
begeben hat, mit vollem Recht gelobt werden zu können. Von all dem aber, durch das etwas erworben wird,
ist nichts besser, nichts ergiebiger, nichts angenehmer, nichts eines freien Menschen würdiger als der
Ackerbau. Da wir über ihn im "Älteren Cato" ziemlich viel gesagt haben, wirst du dort erfahren, was zu
diesem Thema gehören wird.
Quibus autem artibus aut prudentia maior inest aut non
mediocris utilitas quaeritur ut medicina, ut architectura, ut doctrina rerum
honestarum, eae sunt iis, quorum ordini conveniunt, honestae. Mercatura autem,
si tenuis est, sordida putanda est; sin magna et copiosa, multa undique
apportans multisque sine vanitate inpertiens, non est admodum vituperanda; atque
etiam si satiata quaestu vel contenta potius, ut saepe ex alto in portum, ex
ipso se portu in agros possessionesque contulit, videtur iure optimo posse
laudari. Omnium autem rerum, ex quibus aliquid adquiritur, nihil est agri
cultura melius, nihil uberius, nihil dulcius, nihil homine libero dignius. De
qua quoniam in Catone Maiore satis multa diximus, illim assumes quae ad hunc
locum pertinebunt.
Aber auf welche Weise aus den Bereichen, die das Sittlichgute konstituieren, die Pflichten
abgeleitet werden, scheint hinreichend dargelegt worden zu sein. Aber unter dem, was sittlich gut ist,
kann es oft zu einem Wettstreit und einem Vergleich kommen, welche von zwei Tugenden ehrbarer ist, ein
Punkt, der von Panaitios übergangen worden ist. Denn weil die Sittlichkeit als ganzes vier Quellen
entspringt, von denen die eine die Erkenntnis ist, die andere das Gemeinschaftsgefühl, die dritte die
Hochherzigkeit, die vierte die Mäßigung, müssen diese bei der Wahl der Pflicht oft untereinander
verglichen werden.
Sed ab iis partibus, quae sunt honestatis, quem ad
modum officia ducerentur, satis eitum videtur. Eorum autem ipsorum, quae honesta
sunt, potest incidere saepe contentio et comparatio, de duobus honestis utrum
honestius, qui locus a Panaetio est praetermissus. Nam cum omnis honestas manet
a partibus quattuor, quarum una sit cognitionis, altera communitatis, tertia
magnanimitatis, quarta moderationis, haec in deligendo officio saepe inter se
comparentur necesse est.
Es scheint also richtig, dass diejenigen Pflichten, die aus dem Gemeinschaftsgefühl abgeleitet
werden, der Natur angemessener sind als diejenigen, die aus der Erkenntnis stammen. Und dieses kann
durch folgenden Beweis bekräftigt werden, dass der Weise, auch wenn ihm ein solches Leben gefüllt, dass
er bei überfluss an allen Mitteln alles, was der Erkenntnis würdig ist, mit höchster Muße bei sich
bedenkt und betrachtet, dennoch aus dem Leben scheidet, wenn die Einsamkeit so groß ist, dass er keinen
Menschen sehen kann. Und vorrangig vor allen Tugenden ist jene Weisheit, welche die Griechen sophian
nennen (unter der Klugheit nämlich, welche die Griechen phronesin nennen, verstehen wir etwas ganz
anderes, nämlich das Wissen um die Dinge, die zu erstreben und zu meiden sind), jene Weisheit aber, die
ich als vorrangig bezeichnet habe, ist das Wissen um die göttlichen und menschlichen Güter, auf dem die
Gemeinschaft der Götter und Menschen beruht und die Verbindung unter ihnen selbst; wenn dieses Wissen am
bedeutendsten ist, wie es wirklich ist, so muss sicherlich diejenige Pflicht, die aus dem
Gemeinschaftsgefühl abgeleitet wird, am höchsten sein. Denn Erkenntnis und geistige Betrachtung sind
gewissermaßen bruchstückhaft und unvollständig, falls keine Verwirklichung durch die Tat folgen sollte.
Diese Tat aber ist am besten erkennbar im Schutz menschlicher Interessen; sie hat also Bedeutung für die
Gemeinschaft des Menschengeschlechtes; also ist sie der Erkenntnis vorzuziehen.
Placet igitur aptiora esse naturae ea officia, quae ex
communitate, quam ea, quae ex cognitione ducantur, idque hoc argumento
confirmari potest, quod, si contigerit ea vita sapienti, ut omnium rerum
affluentibus copiis [quamvis] omnia, quae cognitione digna sint, summo otio
secum ipse consideret et contempletur, tamen si solitudo tanta sit, ut hominem
videre non possit, excedat e vita. Princepsque omnium virtutum illa sapientia,
quam sophian Graeci vocant--prudentiam enim, quam Graeci
phronesin
dicunt, aliam quandam intellegimus, quae est rerum expetendarum fugiendarumque
scientia; illa autem sapientia, quam principem dixi, rerum est divinarum et
humanarum scientia, in qua continetur deorum et hominum communitas et societas
inter ipsos; ea si maxima est, ut est, certe necesse est, quod a communitate
ducatur officium, id esse maximum. Etenim cognitio contemplatioque [naturae]
manca quodam modo atque inchoata sit, si nulla actio rerum consequatur. Ea autem
actio in hominum commodis tuendis maxime cernitur; pertinet igitur ad societatem
generis humani; ergo haec cognitioni anteponenda est.
Und in der Tat zeigen dieses gerade die Besten und urteilen danach. Denn wer ist so versessen auf
die genaue Erkenntnis der Naturordnung, dass er, falls ihm, während er sich mit den der Erkenntnis
würdigsten Gegenständen befasst und diese betrachtet, plötzlich die äußerste Gefährdung des Vaterlandes
gemeldet worden ist, dem er zu Hilfe kommen und beistehen könnte, nicht all jenes zurückließe und
hintanstellte, auch wenn er glaubte, die Sterne zählen oder die Größe des Kosmos abmessen zu können? Und
dieses würde derselbe bei einem Vorteil oder einer Gefahr für seinen Vater und seinen Freund tun.
Atque id optimus quisque re ipsa ostendit et iudicat.
Quis enim est tam cupidus in perspicienda cognoscendaque rerum natura, ut, si ei
tractanti contemplantique res cognitione dignissimas subito sit allatum
periculum discrimenque patriae, cui subvenire opitularique possit, non illa
omnia relinquat atque abiciat, etiamsi dinumerare se stellas aut metiri mundi
magnitudinem posse arbitretur? atque hoc idem in parentis, in amici re aut
periculo fecerit.
Hierdurch lässt sich einsehen, dass dem pflichtgemäßen Bemühen um Erkenntnis die Pflichten der
Gerechtigkeit vorzuziehen sind, die das Gemeinwohl der Menschen betreffen, das für den Menschen das
Wichtigste sein muss. Und selbst jene, deren Bemühungen und ganzes Leben um die Erkenntnis der Dinge
gekreist ist, haben sich dennoch damit beschäftigt, den Nutzen und das Interesse der Menschen zu mehren.
Denn sie haben viele unterwiesen, damit sie um so bessere und nützlichere Bürger für die Staaten seien,
wie der Pythagoreer Lysis den Thebaner Epaminondas, Platon den Syrakusaner Dion und viele andere
ihrerseits wieder viele andere, und wir selbst haben uns, was auch immer wir dem Staat erwiesen haben,
wenn wir ihm nur etwas erwiesen haben, dem Staatsdienst gewidmet, nachdem wir von Lehrern und in
wissenschaftlicher Bildung unterwiesen und unterrichtet worden waren.
Quibus rebus intellegitur, studiis officiisque
scientiae praeponenda esse officia iustitiae, quae pertinent ad hominum
utilitatem, qua nihil homini esse debet antiquius. Atque illi ipsi, quorum
studia vitaque omnis in rerum cognitione versata est, tamen ab augendis hominum
utilitatibus et commodis non recesserunt. Nam et erudierunt multos, quo meliores
cives utilioresque rebus suis publicis essent, ut Thebanum Epaminondam Lysis
Pythagoreus, Syracosium Dionem Plato multique multos, nosque ipsi, quicquid ad
rem publicam attulimus, si modo aliquid attulimus, a doctoribus atque doctrina
instructi ad eam et ornati accessimus.
Und nicht nur zu ihren Lebzeiten und persönlich unterrichten und lehren sie diejenigen, die dem
Lernen zugetan sind, sondern dieses erreichen sie gleichfalls auch nach ihrem Tod durch ihre Lehrbücher.
Denn kein Thema wurde von ihnen übergangen, soweit es sich auf die Gesetze, die Sitten und die Ordnung
des Staates bezog, so dass sie ihre Freizeit in den Dienst unserer Tätigkeit gestellt zu haben scheinen.
So verwenden eben jene, die sich dem Studium der Wissenschaft und der Weisheit gewidmet haben, ihre
Einsicht und ihre Klugheit hauptsächlich zum Nutzen der Menschen; und aus diesem Grunde ist es besser,
beredt öffentlich zu sprechen, wenn es nur auf kluge Weise geschieht, als noch so scharfsinnig ohne
Beredsamkeit nachzudenken, weil das Denken auf sich selbst beschränkt bleibt, die Beredsamkeit aber
diejenigen umfasst, mit denen wir zu einer Gemeinschaft verbunden sind.
Neque solum vivi atque praesentes studiosos discendi
erudiunt atque docent, sed hoc idem etiam post mortem monumentis litterarum
assequuntur. Nec enim locus ullus est praetermissus ab iis, qui ad leges, qui ad
mores, qui ad disciplinam rei publicae pertineret, ut otium suum ad nostrum
negotium contulisse videantur. Ita illi ipsi doctrinae studiis et sapientiae
dediti ad hominum utilitatem suam intelligentiam prudentiamque potissimum
conferunt; ob eamque etiam causam eloqui copiose, modo prudenter, melius est
quam vel acutissime sine eloquentia cogitare, quod cogitatio in se ipsa
vertitur, eloquentia complectitur eos, quibuscum communitate iuncti sumus.
Und wie sich die Bienenschwärme zusammenscharen, nicht um Waben zu bilden, sondern weil sie von
Natur aus gesellig sind, die Waben bilden, so entfalten die Menschen, und dies sogar bei weitem mehr,
nachdem sie sich von Natur aus zusammengeschlossen haben, ihre Begabung zum Handeln und Denken. Wenn
daher die Tugend, die auf dem Schutz der Menschen beruht, d.h. auf dem Erhalt der menschlichen
Gemeinschaft, nicht mit der Erkenntnis der Dinge in Beziehung tritt, dürfte die Erkenntnis auf sich
allein bezogen und damit erfolglos erscheinen, und ebenso ist wohl die Tapferkeit ohne soziales
Verantwortungsgefühl für die Mitmenschen eine Art von Rohheit und Unmenschlichkeit. So kommt es, dass
die Vereinigung und die Gemeinschaft der Menschen einen höheren Rang einnehmen als das Streben nach
Erkenntnis.
Atque ut apium examina non fingendorum favorum causa
congregantur, sed cum congregabilia natura sint, fingunt favos, sic homines, ac
multo etiam magis, natura congregati adhibent agendi cogitandique sollertiam.
Itaque, nisi ea virtus, quae constat ex hominibus tuendis, id est ex societate
generis humani, attingat cognitionem rerum, solivaga cognitio et ieiuna
videatur, itemque magnitudo animi remota communitate coniunctioneque humana
feritas sit quaedam et immanitas. Ita fit, ut vincat cognitionis studium
consociatio hominum atque communitas.
Nicht wahr aber ist, was von einigen wegen der Lebensbedürfnisse gesagt wird, dass die Gemeinschaft
und die Verbindung mit den Menschen deswegen ihren Anfang genommen habe, weil wir das, was die Natur
vermissen lasse, ohne andere nicht erreichen und bewirken könnten; wenn uns aber alles, was zum
Lebensunterhalt und zur Lebensgestaltung gehört, gleichsam mittels einer Wünschelrute, wie man sagt,
reichlich zur Verfügung stünde, dann würden alle Hochbegabten ihre Tätigkeiten aufgeben und sich ganz
auf die Erkenntnis und das Wissen verlegen. So ist es nicht. Denn er würde vor der Einsamkeit fliehen
und einen Geführten für das Studium suchen, dann würde er lehren, dann lernen, dann hören, dann reden
wollen. Also ist jede Pflicht, die auf den Schutz der Vereinigung und Gemeinschaft von Menschen abzielt,
jener Pflicht vorzuziehen, die auf Erkenntnis und Wissen beruht.
Nec verum est quod dicitur a quibusdam propter
necessitatem vitae, quod ea, quae natura desideraret, consequi sine aliis atque
efficere non possemus, idcirco initam esse cum hominibus communitatem et
societatem; quodsi omnia nobis, quae ad victum cultumque pertinent, quasi
virgula divina, ut aiunt, suppeditarentur, tum optimo quisque ingenio negotiis
omnibus omissis totum se in cognitione et scientia collocaret. Non est ita. Nam
et solitudinem fugeret et socium studii quaereret, tum docere, tum discere
vellet, tum audire, tum dicere. Ergo omne officium, quod ad coniunctionem
hominum et ad societatem tuendam valet, anteponendum est illi officio, quod
cognitione et scientia continetur.
Vielleicht ist danach zu fragen, ob diese Gemeinschaft, die der Natur besonders angemessen ist, auch
der Mäßigung und der Besonnenheit immer vorzuziehen ist. Ich meine nicht; denn gewisse Handlungen sind
teils so abscheulich, teils so verbrecherisch, dass der Weise sie nicht einmal um der Rettung des
Vaterlandes willen verrichten wird. Posidonius hat sehr viele von diesen gesammelt, aber einige so
unmoralische, so unanständige, dass es schimpflich erscheint, sie auch nur zu nennen. Diese also wird
der Weise nicht um des Staates willen verrichten, auch der Staat wird nicht wollen, dass sie für ihn
verrichtet werden. Aber die Sachlage stellt sich dadurch leichter dar, dass keine solche Zeit eintreten
kann, in der es für den Staat wichtig wäre, dass ein Weiser eine jener Handlungen ausführt.
Illud forsitan quaerendum sit, num haec communitas,
quae maxime est apta naturae ea sit etiam moderationi modestiaeque semper
anteponenda. non placet; sunt enim quaedam partim ita foeda, partim ita
flagitiosa, ut ea ne conservandae quidem patriae causa sapiens facturus sit. Ea
Posidonius collegit permulta, sed ita taetra quaedam, ita obscena, ut dictu
quoque videantur turpia. Haec igitur non suscipiet rei publicae causa, ne res
publica quidem pro se suscipi volet. Sed hoc commodius se res habet, quod non
potest accidere tempus, ut intersit rei publicae quicquam illorum facere
sapientem.
Deshalb dürfte es klar sein, dass bei der Auswahl der Pflichten der Bereich der Pflichten den
Vorrang hat, die auf der menschlichen Gemeinschaft gegründet sind. [Denn der Erkenntnis und Klugheit
wird eine überlegte Handlung folgen. Daraus folgt, dass besonnenes Handeln wertvoller ist als kluges
Denken.] Dies mag so weit genügen. Denn der wesentliche Gesichtspunkt ist geklärt, so dass es nicht
schwierig ist, bei der Untersuchung der Pflicht zu erkennen, welche Handlungsweise jeder einzelnen
Pflicht vorzuziehen ist. In der Gemeinschaft selbst aber gibt es Abstufungen von Pflichten, aus denen
erkannt werden kann, welche Handlungsweise besser als jede andere ist, so dass die ersten Pflichten den
unsterblichen Göttern, die zweiten dem Vaterland, die dritten den Eltern, sodann stufenweise den übrigen
Pflichten geschuldet werden.
Quare hoc quidem effectum sit, in officiis deligendis
id genus officiorum excellere, quod teneatur hominum societate. [Etenim
cognitionem prudentiamque sequetur considerata actio; ita fit, ut agere
considerate pluris sit quam cogitare prudenter]. Atque haec quidem hactenus.
Patefactus enim locus est ipse, ut non difficile sit in exquirendo officio quid
cuique sit praeponendum videre. In ipsa autem communitate sunt gradus
officiorum, ex quibus quid cuique praestet intellegi possit, ut prima diis
immortalibus, secunda patriae, tertia parentibus, deinceps gradatim reliquis
debeantur.
An diesen kurzen Erörterungen kann erkannt werden, dass Menschen gewöhnlich nicht nur darüber
nachdenken, ob etwas sittlich gut oder schändlich ist, sondern auch, wenn zwei sittlich gute
Handlungsweisen vorliegen, welche von beiden besser ist. Dieser Punkt ist, wie ich oben gesagt habe, von
Panaitios übergangen worden. Aber erörtern wir jetzt das Übrige.
Quibus ex rebus breviter disputatis intellegi potest
non solum id homines solere dubitare, honestumne an turpe sit, sed etiam duobus
propositis honestis utrum honestius sit. Hic locus a Panaetio est, ut supra
dixi, praetermissus. Sed iam ad reliqua pergamus.